Der Name der Rose
eröffnen, verstehst du? Er mußte , denn auch in der Kurie gab es Männer, die vom Zweifel erfaßt worden waren, auch die Franziskaner bei Hofe – Pharisäer, scheinheilige Leisetreter, die immer bereit sind, sich zu verkaufen für eine Pfründe –, auch sie waren vom Zweifel erfaßt. Angesichts dieser Lage bat mich Johannes, eine Denkschrift zu verfassen. Sie ist gut geworden, William, Gott vergebe mir meinen Hochmut …«
»Ich habe sie gelesen, Michael hat sie mir gezeigt.«
»Es gab Schwankende, auch unter uns, zum Beispiel der Provinzial von Aquitanien, der Kardinal von San Vitale, der Bischof von Kaffa …«
»Der ist ein Idiot«, warf William ein.
»Requiescat in pace, Gott hat ihn vor zwei Jahren zu sich genommen.«
»So barmherzig ist Gott leider nicht gewesen. Es war eine Falschmeldung aus Konstantinopel. Er weilt immer noch unter uns, es heißt sogar, er gehöre zur päpstlichen Legation. Gott schütze uns vor ihm!«
»Aber er befürwortet doch die Resolution von Perugia«, sagte Ubertin.
»Eben. Er gehört zu jener Sorte von Menschen, die immer die besten Pferde im Stall ihrer Gegner sind.«
»Um die Wahrheit zu sagen«, räumte Ubertin ein, »er war unserer Sache auch damals nicht gerade dienlich. Die ganze Angelegenheit ist dann praktisch im Sande verlaufen, aber wenigstens war nicht offiziell erklärt worden, daß die Idee als solche häretisch sei, und das war wichtig. Darum haben die anderen mir dann auch nie verziehen. Sie haben versucht, mir auf jede Weise zu schaden, sie haben zum Beispiel behauptet, ich sei damals vor drei Jahren in Sachsenhausen gewesen, als Kaiser Ludwig den Papst zum Ketzer erklärte – dabei wußten sie alle genau, daß ich den ganzen Juli über in Avignon bei Orsini gewesen war … Sie meinten tatsächlich, in Teilen der kaiserlichen Erklärung einen Widerhall meiner Ideen zu finden … Was für ein Unsinn!«
»So unsinnig war das gar nicht«, sagte William. »Die Ideen hatte ich dem Kaiser geliefert, und ich hatte sie deiner Denkschrift von Avignon entnommen und einigen Abschnitten von Olivi.«
»Du?« rief Ubertin halb verblüfft und halb freudig. »Dann gibst du mir also recht!?«
William schien ein wenig verlegen. »Es waren gute Ideen für den Kaiser, damals …«, sagte er ausweichend.
Ubertin sah ihn mißtrauisch an. »Aha. Aber in Wirklichkeit hältst du nicht viel davon, stimmt's?«
»Erzähl mir noch mehr von dir«, lenkte William ab. »Erzähl mir, wie es dir gelungen ist, dich vor diesen Hunden zu retten.«
»Ja, Hunde sind sie, wütende Hunde! Stell dir vor, William, ich mußte sogar mit Bonagratia streiten!«
»Aber Bonagratia von Bergamo steht doch auf unserer Seite!«
»Ja, jetzt, nachdem ich lange mit ihm geredet habe. Erst danach war er überzeugt und protestierte gegen die Ad conditorum canonum – und dafür hat der Papst ihn dann ein Jahr lang einkerkern lassen.«
»Ich habe gehört, daß er jetzt einem meiner Freunde in der Kurie nahesteht, William von Ockham.«
»Den hab' ich nicht gut gekannt. Er gefiel mir nicht. Ein Mann ohne Wärme, nur Kopf, kein Herz.«
»Aber ein guter Kopf.«
»Mag sein, und doch wird er ihn zur Hölle tragen.«
»Gut, dann werde ich ihm dort begegnen, und wir werden über Logik disputieren.«
»Sag so was nicht, William!« erwiderte Ubertin lächelnd und liebevoll. »Du bist besser als deine Philosophen. Ach, hättest du damals nur gewollt …«
»Was?«
»Weißt du noch, wann wir uns das letzte Mal sahen, damals in Umbrien? Erinnerst du dich? Ich war gerade erst von meinen Übeln genesen dank der Fürbitte jener wunderbaren Frau … Clara von Montefalco«, murmelte er mit leuchtenden Augen. »Clara … Wenn die weibliche Natur, die von Natur so pervers ist, sich in der Heiligkeit sublimiert, kann sie zum höchsten Gefäß der Anmut werden. Du weißt, daß mein Leben vom Streben nach höchster Keuschheit erfüllt ist, William«, er faßte ihn sichtlich erregt am Arm. »Du weißt, mit welch wildem – ja, wild ist das richtige Wort – mit welch wildem Verlangen nach Buße ich versucht habe, die Triebe des Fleisches in mir abzutöten, um mich ganz und gar transparent zu machen für die Liebe Jesu, des Gekreuzigten … Und doch waren drei Frauen in meinem Leben für mich drei himmlische Botschafterinnen: Angela von Foligno, Margherita von Città di Castello (die mir das Ende meines Buches eingab, als ich erst ein Drittel davon geschrieben) und schließlich Clara von Montefalco. Es war ein Geschenk des
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