Der Name der Rose
diese Laienbrüder sind. Leute vom Land, die vielleicht einen Wanderprediger hörten und die nicht wissen, was sie da nachplappern. Salvatore hat andere Laster, er ist ein gefräßiges Naschmaul und lüstern. Aber niemals verstößt er gegen die Rechtgläubigkeit! Nein, das Übel dieser Abtei ist ein anderes, suche es lieber in denen, die zuviel wissen, nicht in denen, die unwissend sind. Errichte nicht auf einem einzigen Wort ein ganzes Verdachtsgebäude!«
»Das würde ich niemals tun«, erwiderte William. »Ich habe das Amt des Inquisitors niedergelegt, um genau das zu vermeiden. Aber ich achte gern auf die Worte und denke gelegentlich darüber nach.«
»Du denkst zuviel nach, lieber William! Und du, mein Junge«, wandte der Greis sich zu mir, »hüte dich davor, dem schlechten Beispiel deines Meisters zu folgen! Das einzige, worüber man nachdenken muß, und dessen werde ich mir an meinem Lebensabend bewußt, ist der Tod. Mors est quies viatoris – finis est omnis laboris 19 … Laßt mich beten.«
GEGEN NONA
Worin William ein sehr gelehrtes Gespräch führt mit dem Bruder Botanikus Severin.
Wir gingen zurück durch das dunkle Hauptschiff und verließen die Kirche durch dasselbe Portal, durch das wir eingetreten waren. Ich hatte noch immer Ubertins Worte im Sinn, alle, und mir schwirrte der Kopf.
»Er ist … ein seltsamer Mann«, sagte ich zögernd zu William.
»Er ist – oder war – in vieler Hinsicht ein großer Mann. Doch eben darum ist er seltsam. Nur kleine Menschen scheinen normal. Ubertin hätte leicht einer von jenen Häretikern werden können, die er verbrennen ließ, und ebenso leicht ein Kardinal der heiligen römischen Kirche. Er ist beiden Perversionen sehr nahegekommen. Wenn ich mit Ubertin spreche, habe ich immer den Eindruck, daß die Hölle nichts anderes ist als das Paradies, von der anderen Seite betrachtet.«
Ich verstand nicht: »Von welcher Seite?«
»Nun ja, du hast recht«, gab William zu, »es fragt sich, ob es überhaupt Teile gibt, und es fragt sich, ob es ein Ganzes gibt … Aber hör nicht auf mich. Und schau nicht noch einmal auf dieses Portal«, sagte er und klopfte mir leicht auf die Schulter, als ich mich umdrehen wollte, um die Skulpturen noch einmal zu sehen, die mir vorhin soviel Eindruck gemacht hatten. »Für heute haben sie dich genug erschreckt. Alle.«
Als wir in den Hof traten, stand vor uns ein anderer Mönch. Er mochte etwa in Williams Alter sein. Er lächelte, verbeugte sich höflich und sagte, er heiße Severin von Sankt Emmeram und sei hier der Bruder Botanikus, dem die Pflege der Bäder, des Hospitals und der Gärten obliege, und er stehe uns zu Diensten, falls wir die Absicht hätten, uns auf dem Gelände der Abtei ein wenig genauer umzusehen.
William bedankte sich und erwiderte, er habe bereits den herrlichen Garten bemerkt, der offenbar nicht nur eßbare Pflanzen enthalte, sondern auch medizinische Kräuter, soweit man es unter dem Schnee erkennen könne.
»Zur Sommerzeit oder im Frühling, wenn die Vielfalt seiner Gewächse in voller Blüte steht, singt dieser Garten das Lob des Schöpfers noch besser«, sagte Severin wie zur Entschuldigung. »Doch auch in dieser Jahreszeit sieht das Auge des Botanikers an den trockenen Stengeln, welche Pflanzen hier wieder kommen werden, und ich kann dir sagen, dieser Garten ist reichhaltiger, als es je ein Herbarium war, und farbenprächtiger als die schönsten Anlagen irgendwo sonst. Außerdem wachsen einige Heilkräuter auch im Winter, und andere halte ich wohlversorgt in Töpfen und Krügen bereit, die ich in meinem Laboratorium habe. So werden zum Beispiel Katarrhe mit den Wurzeln des Sauerampfers geheilt, und gegen Hautkrankheiten macht man feuchte Umschläge mit dem Absud von Altheenwurzeln, mit der Klette vernarbt man Ekzeme, mit zerkleinerten und gestampften Rhizomen des Wiesenknöterichs heilt man den Durchfall und manche Frauenleiden, der Pfeffer ist ein gutes Verdauungsmittel, der Huflattich lindert den Husten, wir haben auch Enziane, die gut gegen Verstopfung sind, und Glyzyrrhizine, und Wacholder, um einen guten Tee zu machen, und Holunder, der mit Baumrinde einen stärkenden Sud für die Leber ergibt, und Wiesenschaumkraut, dessen Wurzeln, in kaltem Wasser aufgeweicht, die Entzündung der Schleimhäute lindern, und Baldrian, dessen Vorzüge ihr gewiß kennt.«
»Ihr habt sehr verschiedenartige Kräuter aus sehr verschiedenen Klimazonen. Wie kommt das?«
»Zum Teil verdanke ich sie der Gnade des
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