Der Name der Rose
Hugo von Newcastle …»
»Wer?«
»Hugo von Novocastrum, entschuldige, ich falle manchmal in meine Sprache, auch wenn ich gutes Latein spreche. Auch Wilhelmus Alnwick ist zu erwarten. Und von den Franziskanern aus Avignon kommen Hieronymus, der Hohlkopf von Kaffa, und vielleicht auch Berengar Talloni und Bonagratia von Bergamo.«
»Hoffen wir zu Gott«, seufzte Ubertin, »daß sie sich nicht allzusehr mit dem Papst verfeinden! Und wer wird die Position der Kurie vertreten? Ich meine, wer von den Harten?«
»Aus den Briefen, die ich erhalten habe, schließe ich auf Lorenz Decoalcon …«
»Ein tückischer Mensch!«
»Jean d'Anneaux …«
»Ein durchtriebener Theologe, hütet euch vor ihm!«
»Wir werden uns hüten. Schließlich Jean de Baune.«
»Den möchte ich mit Berengar sehen, das wird was geben!«
»Ja, ich glaube, wir werden uns gut amüsieren«, sagte William in bester Laune. Ubertin sah ihn unsicher lächelnd an.
»Nie weiß ich, wann ihr Engländer etwas im Ernst sagt und wann ihr scherzt! Ich sehe nichts Amüsantes in einer so folgenschweren Begegnung. Es geht schließlich um das Überleben des Ordens, welcher der deine ist und im Innersten auch der meine … Aber ich werde Michael von Cesena beschwören, nicht nach Avignon zu gehen. Johannes will ihn dort haben, er sucht ihn, lädt ihn allzu beharrlich ein. Hütet euch vor diesem alten französischen Fuchs! Oh Herr, in welche Hände ist Deine Kirche gefallen …« Er wandte sich zum Altar. »Verwandelt in eine Dirne, im Luxus verweichlicht, suhlt sie sich in Wollust wie eine Schlange im Sonnenglast. Von der schlichten Reinheit des Stalles zu Bethlehem, Holz wie hölzern das lignum vitae des Kreuzes war, zu den Bacchanalien in Stein und Gold! Siehe, auch diese Abtei ist nicht frei davon, hast du das Portal gesehen? Dem Hochmut der Bilder vermag man sich nicht zu entziehen … Sehr nahe schon sind die Tage, da der Antichrist kommen wird, und ich fürchte mich, William!« Zitternd schaute der Greis sich um, starrte mit aufgerissenen Augen ins Dunkel des Kirchenschiffes, als würde der Antichrist jeden Augenblick auftauchen, und auch ich schaute mich unwillkürlich um. »Seine Statthalter sind bereits da, von ihm ausgesandt, wie Christus seine Jünger aussandte in die Welt. Sie verderben die Stätte Gottes, verführen mit List, Heuchelei und Gewalt! Es ist Zeit, daß der Herr seine Diener aussendet, Elias und Enoch, die er am Leben erhielt im irdischen Paradies, auf daß sie kommen, die neue Zeit zu verkünden im härenen Kleid und Buße zu predigen mit dem eigenen Beispiel und mit dem Wort …«
»Sie sind schon gekommen, Ubertin«, sagte William und zeigte auf seine franziskanische Kutte.
»Aber sie haben noch nicht gewonnen, und über ein kleines wird der Antichrist voller Wut befehlen, Enoch und Elias zu töten und ihre Leichen hinzuwerfen, auf daß ein jeder sie sehe und sich fürchte. So wie man mich töten wird …«
Erschrocken dachte ich, als ich Ubertin so reden hörte, daß er einer Art göttlichem Wahn verfallen sei, und sorgte mich um seinen Verstand. Heute, da ich weiß, daß er wenige Jahre später in einer deutschen Stadt auf mysteriöse Weise ermordet wurde, und niemand hat je erfahren, von wem, packt mich noch größeres Entsetzen, denn offenbar sah Ubertin damals in die Zukunft.
»Du weißt es, der Abt Joachim hat die Wahrheit gesprochen. Wir befinden uns in der sechsten Ära der Menschengeschichte, in welcher erscheinen werden zwei Antichristen, der mystische Antichrist und der wirkliche, und dies wird geschehen im sechsten Zeitalter, nachdem Franziskus gekommen ist, zu verkörpern in seinem Fleische die fünf Wunden des Gekreuzigten. Bonifaz war der mystische Antichrist, und Coelestins Abdankung war nicht gültig. Bonifaz war das Tier, das aus dem Meere steigt und dessen sieben Häupter die Angriffe auf die sieben Todsünden sind und dessen zehn Hörner die Angriffe auf die Zehn Gebote, und die Kardinäle, die ihn umgaben, waren die Heuschrecken, deren Leib Apollyon ist! Doch die Zahl des Tiers, wenn du den Namen in griechischen Lettern liesest, ist Benedicti …«
Ubertin blickte mich prüfend an, um zu sehen, ob ich verstanden hatte, und sprach mit erhobenem Finger: »Wisse, mein Sohn, Papst Benedikt XI. war der wirkliche Antichrist, das Tier, das aus der Erde steigt! Gott hat es zugelassen, daß dieses Ungeheuer an Laster und Frevel seine Kirche regierte, damit die Tugend seines Nachfolgers um so heller erstrahle
Weitere Kostenlose Bücher