Der Name der Rose
Schlangen, Fliegendreck …»
»Aha, Arabisch! Siehst du noch mehr solche Bücher?«
»Ja, einige. Aber hier ist ein lateinisches, so Gott will. Al … Al Kuwarizmi, Tabulae …«
»Die astronomischen Tafeln von Al Kuwarizmi, übersetzt von Adelardus de Bath! Ein sehr seltenes Buch. Weiter!«
»Isa ibn Ali, De oculis . Alkindi, De radiis stellatis …«
»Schau jetzt auf dem Tisch, was liegt da?«
Ich trat an den Tisch und schlug einen Folianten auf, er hieß De bestiis . Eine mit feinen Miniaturen versehene Seite zeigte ein prächtiges Einhorn.
»Schöne Arbeit«, kommentierte William, der die Bilder erkennen konnte. »Und dies hier?«
Ich las: » Liber monstrorum de diversis generibus . Auch hier sind schöne Bilder, aber die scheinen mir älter zu sein.«
William beugte sich über das Buch. »Von irischen Mönchen vor mindestens fünfhundert Jahren gemalt. Das Buch mit dem Einhorn ist wesentlich jünger, offenbar in der Manier der Franzosen gestaltet.« Erneut bewunderte ich die große Gelehrtheit meines Meisters. Wir begaben uns in das nächste Zimmer und durchquerten die anschließenden vier Räume. Alle hatten Fenster, und alle waren voller Bücher in unbekannten Sprachen, dazu offenbar einige Texte über okkulte Wissenschaften. Schließlich gelangten wir erneut vor eine türlose Wand, die uns zwang, den Weg zurückzugehen, denn die letzten vier Räume hatten allesamt keine weiteren Türen.
»Aus der Neigung der Wände zu schließen, müßten wir uns in einem der Ecktürme befinden«, sagte William. »Aber es fehlt der siebeneckige Innenraum, vielleicht täusche ich mich.«
»Aber die Fenster«, sagte ich. »Wie kommt es, daß hier so viele Fenster sind? Es können doch unmöglich alle Räume an der Außenwand liegen?«
»Vergiß nicht den Innenhof, viele der Fenster, die wir gesehen haben, gehen zu jenem achteckigen Schacht. Wenn es Tag wäre, könnten wir an den Helligkeitsunterschieden erkennen, welche Fenster nach außen gehen und welche zum Innenhof; vielleicht könnten wir sogar am Stand der Sonne die Lage der Räume erkennen. Aber nachts ist kein Unterschied bemerkbar. Gehen wir zurück.«
Wir kehrten in das Spiegelzimmer zurück und näherten uns der dritten Tür, die wir noch nicht probiert hatten. Vor uns tat sich eine Flucht von mehreren Räumen auf. Aus dem letzten ganz hinten drang ein schwacher Lichtschimmer.
»Da ist jemand«, flüsterte ich erregt.
»Wenn da jemand ist, hat er unser Licht schon bemerkt«, sagte William, hielt aber gleichwohl die Hand vor die Lampe. Wir warteten eine Weile reglos. Das schwache Licht schimmerte weiter, ohne heller oder dunkler zu werden.
»Vielleicht ist es nur eine Öllampe«, meinte William schließlich. »Eine von denen, die den Mönchen hier vorgaukeln sollen, daß die Bibliothek von den Seelen der toten Bibliothekare bewacht wird. Ich muß das genauer wissen. Bleib hier und halt die Lampe verdeckt. Ich gehe vorsichtig hin.«
Noch ganz beschämt über das erbärmliche Bild, das ich vorhin vor dem Spiegel abgegeben hatte, wollte ich mich jetzt vor William bewähren und sagte daher entschlossen: »Nein, ich gehe hin, Ihr bleibt hier. Ich werde vorsichtig sein, ich bin kleiner und leichter. Sobald ich glaube, daß keine Gefahr besteht, rufe ich Euch.«
Und schon war ich unterwegs. Vorsichtig tastete ich mich durch zwei Räume an den Wänden entlang, leichtfüßig wie eine Katze (oder wie ein Novize, der sich nachts in die Küche schleicht, um Käse aus der Speisekammer zu naschen – darin war ich zu Hause in Melk sehr gut gewesen). Vor der Schwelle des Raumes, aus dem der Lichtschimmer kam, drückte ich mich an die Wand hinter der rechten Säule, die den Türbogen stützte, und spähte hinein. Niemand war zu sehen. Auf dem Tisch stand eine rußig blakende Lampe. Es war keine Öllampe wie die unsere, sie glich eher einem gedeckten Weihrauchfäßchen, und sie leuchtete auch nicht richtig, sondern glomm nur schwach. Ich faßte mir ein Herz und trat in den Raum. Auf dem Tisch neben dem glimmenden Fäßchen lag aufgeschlagen ein großes farbig bemaltes Buch. Ich trat näher und entdeckte vier Streifen von verschiedener Farbe: gelb, zinnober, türkis und hellbraun. Darauf ein schrecklich anzusehendes Untier, ein Drache mit zehn Köpfen, der mit dem Schweif die Sterne am Himmel erfaßte und niederwarf auf die Erde. Und plötzlich vervielfachte sich der Drache, und die Schuppen seiner Haut wuchsen zu einem Wald von feurigen Zacken, die sich aus dem
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