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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Johnson
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halten konnte, ging ich. Auf dem Weg nach draußen wurde mir plötzlich schwindlig, und ich setzte mich an die Bar und bat um etwas Orangensaft. Allenfalls ein paar Minuten lang nippte ich daran, dann trat ich auf den sonnigen Parkplatz hinaus, wo mir auffiel, dass ich nicht einmal auf die Toilette gegangen war, um mir ein Bild davon zu machen, wie ich aussah. Dort, wo ich mich beim Aufstehen vom Boden abgestoßen hatte, waren meine Hände dreckig.
    Zusätzlich zum Sägemehl fand ich Flecken von verschütteten Drinks auf meinen Knien, auf denen ich, nach meinen fünf Sinnen suchend, herumgekrochen war. Mir dämmerte, dass ich keine Ahnung hatte, wohin ich wollte.
    Ein Mann kam auf mich zu, ein junger Mann mit Denkerfalten auf der Stirn. Offenbar war er mir aus dem Kasino gefolgt. «Ich hab das da drin mitbekommen», sagte er.
    Ich lehnte mich gegen ein Auto.
    «Alles in Ordnung?»
    Ich nickte und gab mir Mühe, zu lächeln. «Hervorragend.»
    Im Rückblick ist das Demütigende das: Ich vergaß, empört zu sein, versuchte den Cowboy zu spielen.
    «Wenn Sie Anzeige erstatten wollen, sage ich gern für Sie aus.»
    «Das war doch bloß eine von diesen albernen – ach», versicherte ich ihm stockend, «Sie wissen doch, wie so was läuft.»
    «Es war ein durch nichts provozierter Angriff.»
    Ich erkannte ihn. Es war ein Doktorand, der ein Büro bei uns im Gebäude der Geisteswissenschaften hatte. Ich wusste nicht, was er unterrichtete, aber jedes Mal, wenn ich die Treppen hinunterging, kam ich an seinem Büro vorbei, und es schien, als wäre er ständig da, spräche ständig mit selbstsicherer Dauerstimme zu einem seiner Studenten, während andere draußen vor der Tür warteten oder nicht weit davon entfernt auf den Stufen saßen. Wie dem auch sei, er war ein junger Kollege von mir. Nun wurde ich vollends verlegen.
    «Wenn ich irgendwas für Sie tun kann –»
    «Ehrlich gesagt, wäre mir nur noch unwohler, wenn Sie sich deswegen Umstände machen würden.»
    «Ja, verstehe», sagte er. «Ist gut.»
    «Danke.»
    «Sagen Sie mir einfach, dass Sie aus eigener Kraft vom Fleck kommen, und schon bin ich weg.»
    «Ich musste bloß an die frische Luft. Geht schon wieder.»
    Nachdem er mich da stehen gelassen hatte, schleppte ich mich ein paar Schritte weiter und setzte mich auf die Stoßstange eines Lastwagens, wo ich versuchte, mir einen Plan für den Rest des Tages zurechtzulegen, der nunmehr gänzlich öde zu werden versprach. Ich beschloss, mich nach dem Fahrplan der Busse zu erkundigen. Wenn nicht bald einer führe, wollte ich mir für die Warterei ein Motelzimmer nehmen und fernsehen oder schlafen.
    Aber nun ertappte ich mich dabei, wie ich Flower Cannon über den Parkplatz hinweg Zeichen gab, als sie das Kasino verließ. Sie kam direkt auf mich zu, ob um mich zu begrüßen oder weil sie in der Nähe parkte, war mir nicht klar.
    «Hallo.»
    «Hallo», sagte sie. Sie trug Jeans und ein zerknittertes Herrensportsakko aus Leinen. Die Schminke war ab.
    «Wir kennen uns», sagte ich.
    «Ja. Hallo», sagte sie.
    «Erinnern Sie sich an mich?»
    «Klar. Sie sind eben da drin niedergeschlagen worden. Sie vergisst man nicht so leicht.»
    «Falls Sie sich wirklich an mich erinnern, würde ich Sie gern um eine Mitfahrgelegenheit zur Uni bitten.»
    «Michael Reed, stimmt’s?»
    «Ja. Michael Reed. Können Sie mich mitnehmen?»
    «Hat er etwa auch Ihren Wagen geklaut?»
    «Ich bin froh, dass wenigstens einer von uns die Sache komisch findet.»
    «Oh. Tut mir leid», sagte sie. «Ich lache bloß, weil ich betrunken bin.»
    «Betrunken? Und da fahren Sie Auto?»
    «Im Zickzack wie ein Berserker, Wir haben reichlich Platz», sagte sie. «Springen Sie rein.»
    In Wahrheit quoll ihre kleine japanische Studentenkiste über von Kartons, Büchern, Kleidung, Müll. Ich schuf eine freie Fläche auf dem Beifahrersitz, indem ich den Plunder über die Lehne nach hinten schaufelte.
    «Tut mir leid, dass es hier so mieft», sagte sie. «Der Wagen muss wohl bald mal mit offenen Fenstern durch die Waschanlage.»
    Nach ein paar Versuchen bekam sie ihn an. «War da nicht noch jemand?», fragte ich.
    «Wer denn?»
    «Weiß ich nicht. Wer ist ‹wir›?»
    «Wir?»
    «Sie haben ‹wir› gesagt. Wer ist ‹wir›?»
    «Ich weiß nicht. Sie und ich.»
    «Gut, ich wollte nur niemanden vergessen.»
    «Wen denn?»
    «Keine Ahnung.»
    «Er kann uns mal», sagte sie, «wer immer es ist», und wir fuhren schwungvoll vom Parkplatz.
    Ich war nicht länger als zwei

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