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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Johnson
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Exil.
    Clara schlug mit dem Löffel gegen ihre Tasse und brachte einen Toast aus. Einen Toast auf mich. Das heutige Treffen finde nämlich zu meinen Ehren statt. Weil ich die Universität verlassen würde. Alle applaudierten höflich.
    Offenbar wurde mein Vertrag nicht verlängert. Das war mir neu. Ich hatte mit einer weiteren Verlängerung gerechnet und erst dann mit dem Abschuss. Ende des vergangenen Jahres hatten Clara und ich noch darüber geredet und die Sache vertagt; irgendwie hatte sie sich nun von selbst erledigt. Monatelang hatte ich gerätselt, was übernächstes Jahr geschehen würde, und nun geschah es jetzt.
    Ich fragte mich, ob Clara in dem Chaos von Medikamenten und Kummer, in dem ihr Leben in letzter Zeit versunken war, vielleicht einfach vergessen hatte, das mit mir zu besprechen. Während ich mir, lächelnd und Dankbarkeit heuchelnd, erbittert und zugleich befreit, darüber den Kopf zerbrach, überlegte ich, dass sie wahrscheinlich zunächst gehofft und später einfach vorausgesetzt hatte, darüber zu reden wäre überflüssig. Aus reiner Feigheit mochte sie beschlossen haben, jenes eine Gespräch als endgültige, notwendige Bestätigung dafür zu nehmen, dass ich, was das Fach Geschichte betraf, Geschichte war. Andererseits war das Usus in unserem Institut, wie meines Wissens auch in allen anderen. Wir taten unsere Arbeit mit einer jegliche Konfrontation vermeidenden Unverbindlichkeit, die in der politischen Welt, zu der ich vorher gehört hatte, dem Umgang mit den Wählern vorbehalten gewesen war (der Senator nannte sie «das Stimmvieh»). Mit dem Wahlvolk sprachen wir ausweichend, aber hinter geschlossenen Türen nahm keiner ein Blatt vor den Mund.
    Einmal hörte ich eine Wahlkampfleiterin zu einem Helfer sagen: «Wollen Sie wissen, wie ein Versager riecht? Schnuppern Sie mal an Ihrer Achselhöhle. Und dann räumen Sie Ihren Schreibtisch.» Vielleicht hielt uns in der akademischen Welt der Widerwille gegen Gemeinheiten davon ab, uns gegenseitig so gnadenlos fertigzumachen, aber ich finde nicht, dass Claras Art, jemanden zu entlassen, sehr viel angemessener war, und ich bezweifle, dass der junge Wahlkampfhelfer beim Ausräumen seiner Schreibtischschubladen verblüffter oder röter gewesen war als ich in diesem Moment.
    Plötzlich wurde Soames hellwach: «Sind Sie denn innerlich überhaupt bereit, sich hier zu verabschieden?»
    «Ich merke jetzt schon, wie das Ganze um mich herum verblasst.»
    «Sehr gut! Sie verstehen mich vollkommen. Erinnern Sie sich an die abgestorbene Haut dieses Pulitzerpreis-Trägers? Genau. Seine Bücher – abgestorbene Haut! Wie konnte er das nur sagen? Glauben Sie, er war auf dumpfe Provokation aus, oder hat er einfach ein kolossales menschliches Arschloch gespielt?»
    «Zu mir war er nett, Tiberius. Aber ich habe ja auch nicht seine Freundin durchs Wohnzimmer verfolgt.»
    «Ach, meine Freunde und Feinde, ach! In dieser Nacht! Hinterher! Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie heftig ich da masturbiert habe!»
    Lassen wir die Beschreibung der Gespräche von uns Institutsangehörigen bei diesen Worten bewenden.
    Aber nein, ich konnte es nicht dabei bewenden lassen. Ein paar Minuten später folgte ich Clara Frenow auf den Flur und rief ihren Namen, als sie mit ihrer Bürotür kämpfte.
    «Ich bin überrascht, dass ich mich überhaupt noch über Sie ärgere», sagte ich zu ihr.
    Sie wirkte selbst überrascht, dann nicht mehr überrascht, schließlich unfähig, noch Überraschung zu empfinden. «Wollen Sie mit reinkommen?», sagte sie.
    Es lag so dermaßen auf der Hand, dass sich die Bedrückung wieder in ihr Leben einschlich. Und alles, was sie hatte, war ihr blaues Barett. Sie kam mir prähistorisch vor. Ich sah sie in lumpigen Tierfellen, sah sie eine kleine Harpune gegen den Sturm erheben.
    «Ach nein», sagte ich, «vergessen Sie’s.»
    Auch Tiberius konnte es nicht dabei bewenden lassen. Er tauchte jetzt an meiner Seite auf und legte mir beide Hände auf den Arm: «Michael, wir müssen aus dieser Ödnis raus. Aus dieser Ödnis mit ihrer reglementierten Pflanzenwelt. Dieser ungeheuer reglementierten Pflanzenwelt. Nichts ist so wichtig wie dass wir hier rauskommen.»
    Er ging Richtung Flurende davon. Clara hatte er nicht eines Blickes gewürdigt. Im Treppenhaus wurde er zu einer schwankenden Silhouette, die beim Hinuntergehen in Zwanzigzentimeterschritten verschwand.
    «Clara, ich dachte, wir hätten eine Vereinbarung.» Aber ebensogut hätte ich sagen können: Wir

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