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Der Name der Welt

Der Name der Welt

Titel: Der Name der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Johnson
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eingeladen war, tauchte ich auf. Ich las viel in der Bibliothek. Ich ging allein ins Kino. Ich sah den Schlittschuhläufern auf dem Campusteich zu. Erheblich häufiger, als ich hätte öffentlich eingestehen mögen, führte ich imaginäre Gespräche mit einem Mann namens Bill, in denen ich seit dem Tod meiner Frau und meiner Tochter das ewig gleiche Terrain abschritt. Während ich wie gelähmt oder distanziert herumlief, rasten meine Gedanken, wie Hunde, die hinter einer Hasenattrappe herhetzen, permanent im Kreis.
    Vielleicht kamen mir die jungen Schlittschuhläufer deshalb so zufrieden vor, selbst an den kältesten Tagen. Solange es hell war, glitten auf dem sogenannten Mittelcampus zwischen dem Juristischen Seminar und dem Institut für Sozialwissenschaften ein Dutzend bis einhundert Jungs und Mädchen über einen durch ein Geländer eingefassten Teich mit einer winzigen, nicht zu erklimmenden Insel in der Mitte, einer monolithischen Felseninsel mit einer Skulptur auf dem höchsten Punkt – Formen aus rotem Blech. Alle fuhren in derselben Richtung. «Teich» trifft es vielleicht nicht richtig. Mir wurde erzählt, das Wasser sei kaum zwanzig Zentimeter tief. Ein Spiegelpool, nehme ich an, etwa doppelt so groß wie ein Footballfeld. Es gab immer ein paar wacklige Anfänger, die sich am Geländer festhielten, aber meist saßen die jungen Studenten an der steinernen Einfassung des Teiches, um sich die Schlittschuhe anzuziehen, standen dann auf und traten mit einem langen, geübten Schritt auf ein unsichtbares Karussell. Das sah nicht mühevoll aus. Denen entkam kein Hase. Sie liefen endlos im Kreis, aber sie hetzten nichts hinterher.
    Oft aß ich in einer Cafeteria im Keller des Juristischen Seminars zu Mittag und ging danach am Rand eines Radwegs um den Mittelcampus, blieb stehen, um den Schlittschuhläufern zuzusehen, bis mich die Kälte zum Weitergehen zwang, am Teich und am Naturwissenschaftlichen Kolleg vorbei zum Kunstmuseum. Und genau das tat ich zufällig auch am 20. Februar, dem vierten Jahrestag des Unfalls, der mir meine Familie genommen hatte. Ich sah den Schlittschuhläufern zu, und dann besuchte ich Bill, den Mann, mit dem ich, wie schon erwähnt, in meiner Phantasie so freundschaftlich verkehrte.
    Die Freundschaft existierte nur in meiner Einbildung, Bill jedoch nicht. Ich sah ihn ein- oder zweimal die Woche. Er arbeitete im Kunstmuseum. Ich ging mir dort oft eine bestimmte Zeichnung ansehen, und Bill war der Wärter, der sich meist in der Nähe aufhielt, in blauen Hosen und einem weißen Hemd mit einem Schildchen auf der Brust, auf dem sein Name stand: W. Connors. Einmal stellte ich mich ihm vor, und er nannte mir seinen Vornamen. Ein Schwarzer, ungefähr Ende vierzig.
    Dass mich diese Zeichnung derart berührte und ich ständig zu ihr hinging, ja mich regelrecht nach ihr sehnte, müsste, so meinte ich, einem Menschen wie ihm einleuchten, der genügend Zeit in ihrer Gegenwart verbracht hatte, um von ihrer Botschaft durchdrungen, vergleichbar durchdrungen zu sein, zwar vielleicht ohne die Komplizenschaft von Museumsgängern, aber doch durchdrungen. Deshalb empfand ich eine Verbundenheit mit Bill – eine illusorische Verbundenheit, ähnlich der seltsamen, schockierenden Vereinigung, wie man sie mit einer Gestalt erlebt, die einem unversehens das Gesicht zuwendet, während man in einer Bahn an ihr vorbeihuscht – man existiert für sie in einem Rahmen, so wie sie für einen selbst in einem Rahmen existiert –, und beide blicken von jeweils verschiedenen Seiten auf denselben Rahmen, Sie verstehen mich schon, in einem Moment, der mit einem Wimpernschlag kommt und geht, sich aber nie verändert, mit anderen Worten: in einem Bild. Jedenfalls liebäugelte ich mit dem Gedanken, dass wir etwas teilten, dieser Bill Connors und ich, dass wir beide von dem, was in ein und demselben Rahmen vor sich ging, gefesselt waren.
    Das Bild war eine anonyme Arbeit, die so gut wie jeder hinbekommen hätte, aber wie der Zufall es wollte, stammte sie von einem Sklaven aus Georgia. Die Besitzer, eine Familie Stone aus dem Camden County, hatten sie auf dem Dachboden des Familiensitzes gefunden. Sie war mit Tinte auf ein großes weißes Leinenbetttuch gezeichnet und bestand aus einem einzelnen winzigen, perfekten Quadrat in der Mitte und freihändig gezogenen konzentrischen Umrisslinien drumherum. Ein technischer Zeichner mit dem entsprechenden Handwerkszeug hätte tausend konzentrische Quadrate in jeweils nur vier oder fünf

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