Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
Vom Netzwerk:
ließ die seltsam schwere Luft auf mich wirken. Mir fiel auf, dass die Tür innen keine Klinke hatte, geschweige denn ein Schlüsselloch. Warum nimmt jemand es auf sich, eine Tür aus massivem Kupfer herzustellen?
    Ich stellte meine zweite Frage. »Wie seid Ihr hier herausgekommen?«
    »Na endlich«, sagte Elodin.
    Er ließ sich auf dem Sofa nieder. »Weißt du, eines Tages fand sich Elodin der Große in einem hohen Turm eingeschlossen.« Er wies auf den Raum rings um uns her. »Und man hatte ihn seiner Werkzeuge beraubt: Die Münze, der Schlüssel und die Kerze waren fort. Und außerdem hatte seine Zelle keine Tür, die man hätte öffnen können. Und kein Fenster, das man hätte einschlagen können.« Er wies mit abschätziger Geste auf das Fenster und die Tür. »Und dank der gerissenen Machenschaften derer, die ihn gefangen genommen hatten, war ihm auch der Name des Windes verborgen.«
    Elodin erhob sich und ging im Raum auf und ab. »Rings um ihn her war weiter nichts als glatter, harter Stein. Es war eine Zelle, aus der noch niemand je entronnen war.«
    Er blieb stehen und reckte in einer dramatischen Geste den Zeigefinger empor. »Elodin der Große aber kannte den Namen aller Dinge, und daher gehorchten ihm alle Dinge aufs Wort.« Er stellte sich vor die graue Steinwand neben den Fenstern. »Er sprach zu dem Stein: ›Zerbreche!‹ – und der Stein …« Elodin verstummte, den Kopf neugierig zur Seite geneigt. Er kniff die Augen zusammen. »Verdammtnoch mal, sie haben es geändert«, sagte er leise zu sich selbst. »Hm.« Er trat näher an die Wand heran und legte eine Hand darauf.
    Wil und Sim hatten recht: Der Mann hatte eindeutig einen Sprung in der Schüssel. Was würde geschehen, wenn ich aus dem Raum liefe und die Tür hinter mir zuwarf? Würden die anderen Meister mir dafür danken?
    »Ah«, sagte Elodin mit einem Mal und lachte. »Das war aber nicht besonders klug.« Er trat zwei Schritte zurück. »CYAERBASALIEN.«
    Ich sah, wie sich die Wand bewegte. Wellen liefen hindurch, wie bei einem hängenden Teppich, der ausgeklopft wird. Und dann … fiel die Wand einfach so in sich zusammen. Wie dunkles Wasser, das sich aus einem Eimer ergießt, strömte grauer Sand auf den Boden nieder und begrub Elodins Beine fast bis zu den Knien.
    Sonnenschein und Vogelgezwitscher drangen herein. Wo eben noch massives Mauerwerk gewesen war, klaffte nun eine Lücke, groß genug für einen Karren.
    Über diese Lücke spannten sich jedoch Fäden einer grünen Substanz. Es ähnelte einem dichten, aber unregelmäßigen Spinnennetz.
    »Das war früher nicht da«, sagte Elodin entschuldigend und stieg aus dem grauen Sand. »Beim ersten Mal war es viel eindrucksvoller, das kannst du mir glauben.«
    Ich stand da, sprachlos angesichts dessen, was ich gerade gesehen hatte. Das hatte mit Sympathie nichts mehr zu tun. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich musste an die alte Geschichte denken: Taborlin der Große sprach zu dem Stein: ›Zerbreche!‹ – und der Stein zerbrach …
    Elodin brach ein Stuhlbein ab und schlug damit auf das grüne Netz ein, das sich über die Lücke spannte. Einiges davon ließ sich leicht beseitigen. Wo es stabiler war, setzte er das Stuhlbein als Hebel ein, um es beiseite zu biegen. Wo es riss oder sich bog, schimmerte es im Sonnenschein. Ebenfalls Kupfer , dachte ich. Das sind Kupferadern, die sich durch die Steine ziehen, aus denen die Mauer besteht .
    Elodin ließ das Stuhlbein fallen und zwängte sich durch die Lücke. Durch das Fenster sah ich, wie er sich an das weiße Balkongeländer lehnte.
    Ich folgte ihm nach draußen, und als ich den Balkon betrat, fühlte sich die Luft nicht mehr so seltsam schwer an.
    »Zwei Jahre«, sagte Elodin und blickte hinaus über die Gärten. »Zwei Jahre lang konnte ich diesen Balkon sehen, ihn aber nicht betreten. Zwei Jahre lang konnte ich den Wind sehen, ihn aber nicht hören, ihn nicht auf meinem Gesicht spüren.« Er schwang ein Bein über das Geländer, so dass er rittlings darauf saß. Dann sprang er auf das Flachdach direkt unter dem Balkon. Er schritt über das Dach, fort vom Gebäude.
    Ich sprang hinterher und folgte ihm an den Rand des Dachs. Wir befanden uns in etwa sieben Metern Höhe, und die Gärten und Springbrunnen rings umher boten einen wunderschönen Anblick. Elodin stand gefährlich nah an der Dachkante, und sein Talar flatterte wie eine dunkle Fahne. Er sah recht beeindruckend aus, wenn man außer Acht ließ, dass er immer noch nur

Weitere Kostenlose Bücher