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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Zugpferde im Wagenjoch und auf Sichelklingen, die am Anfang eines Herbsttages einsatzbereit glänzten.
    Im Wirtshaus zum Wegstein fiel das Licht auf das Gesicht des Chronisten und berührte auch dort einen Anfang, ein leeres, weißes Blatt, das der ersten Worte einer Geschichte harrte. Das Licht ergoss sich über den Tresen, entlockte den vielfarbenen Flaschen Hunderte winzige Regenbogenanfänge und klomm dann an der Wand zu dem Schwert empor, als suchte es einen endgültigen Anfang.
    Doch als das Licht das Schwert berührte, waren dort keine Anfänge zu erkennen. Das Licht, das das Schwert zurückwarf, war matt, brüniert, uralt. Den Chronisten erinnerte dieser Anblick daran, dass es zwar der Beginn eines Tages war, aber auch schon tiefster Herbst. Das Schwert gemahnte ihn daran, dass ein Tagesanbruch nur ein kleiner Anfang war, verglichen mit dem Ende einer Jahreszeit – dem Ende eines Jahres.
    Der Chronist löste seinen Blick von dem Schwert. Er merkte plötzlich, dass Kvothe etwas gesagt, er es aber nicht gehört hatte. »Wie bitte?«
    »Wie stellen die Leute es denn normalerweise an, wenn sie ihre Geschichten erzählen?«, fragte Kvothe.
    Der Chronist zuckte die Achseln. »Die meisten erzählen einfach frisch von der Leber weg, woran sie sich erinnern. Anschließendbringe ich die Ereignisse dann in die richtige Reihenfolge, lasse Unnötiges weg, erläutere einige Dinge, vereinfache andere, so etwa.«
    Kvothe runzelte die Stirn. »So wird das nicht gehen.«
    Der Chronist sah ihn mit einem schüchternen Lächeln an. »Jeder Erzähler ist anders. Jeder möchte, dass man seine Geschichten nicht anrührt. Aber alle schätzen auch einen aufmerksamen Zuhörer. Normalerweise höre ich erst zu und schreibe es dann später nieder. Ich habe ein beinahe perfektes Gedächtnis.«
    »›Beinahe perfekt‹ genügt mir nicht.« Kvothe legte sich einen Finger an den Mund. »Wie schnell könnt Ihr schreiben?«
    Der Chronist lächelte vielsagend. »Schneller als irgendein Mensch sprechen kann.«
    Kvothe hob eine Augenbraue. »Das würde ich gerne sehen.«
    Der Chronist schlug seine Mappe auf. Er nahm einen Stoß feines weißes Papier und ein Fläschchen Tinte hervor. Nachdem er alles sorgfältig angeordnet hatte, tunkte er eine Feder in die Tinte und sah Kvothe erwartungsvoll an.
    Kvothe beugte sich auf seinem Stuhl vor und sagte schnell: »Ich bin. Wir sind. Sie ist. Er war. Sie werden sein.« Die Feder des Chronisten tanzte über das Blatt, und Kvothe sah ihm dabei zu. »Ich, der Chronist, gestehe hiermit, dass ich weder lesen noch schreiben kann. Saumseligkeit. Pietätlosigkeit. Dohle. Quarz. Firnis. Eggoliant. Lhin ta Lu soren hea . Es war mal ’ne Witwe aus Faeton, die war immerzu nur am Beten. Doch dann kam ein Galan –« Kvothe beugte sich noch weiter vor, um dem Chronisten beim Schreiben zuzusehen. »Interessant. Das reicht fürs Erste.«
    Der Chronist lächelte und wischte seine Feder an einem Lappen ab. Auf dem Blatt vor ihm stand eine einzige Zeile unverständlicher Symbole. »Eine Geheimschrift?«, überlegte Kvothe laut. »Und ausgesprochen säuberlich. Ihr vergeudet bestimmt nicht viel Papier.« Er drehte das Blatt um, um sich die Schrift genauer anzusehen.
    »Ich vergeude nie Papier«, sagte der Chronist.
    Kvothe nickte, ohne den Blick zu heben.
    »Was bedeutet ›Eggoliant‹?«, fragte der Chronist.
    »Hm? Oh, nichts. Das habe ich mir ausgedacht. Ich wollte sehen, ob Euch ein unbekanntes Wort bremst.« Er streckte sich und schobseinen Stuhl dann näher an den des Chronisten. Sobald Ihr mir gezeigt habt, wie man das liest, können wir anfangen.«
    Der Chronist blickte unsicher. »Das ist sehr kompliziert –«. Als er Kvothe die Stirn runzeln sah, seufzte er. »Ich werde es versuchen.«
    Der Chronist atmete einmal tief durch und schrieb dann, während er sprach, eine Reihe von Zeichen nieder. »Wir nutzen beim Sprechen etwa fünfzig verschiedene Laute. Ich habe jedem dieser Laute ein bestimmtes Zeichen zugeordnet, das aus ein oder zwei Federstrichen besteht. Es geht nur um die Laute. Ich könnte so womöglich auch eine Sprache transkribieren, die ich gar nicht beherrsche.« Er zeigte auf etwas. »Das sind unterschiedliche Vokallaute.«
    »Nur senkrechte Striche«, sagte Kvothe, der das Blatt aufmerksam betrachtete.
    Der Chronist hielt inne, aus dem Konzept gebracht. »Nun … ja.«
    »Dann sind die Konsonanten waagerechte Striche? Und kombiniert sieht das dann so aus?« Kvothe nahm die Feder und schrieb

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