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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Chronist den Atem anhalten musste, um ihn noch zu verstehen.
    »Man sagt, sie –« Dem Chronisten blieben die Worte im schlagartig trockenen Halse stecken, denn im Saal machte sich mit einem Mal eine unnatürliche Stille breit. Kote stand mit dem Rücken zum Raum, die Stille im ganzen Leib und ein schreckliches Schweigen zwischen den zusammengebissenen Zähnen. Seine rechte Hand, die ein sauberes weißes Tuch hielt, ballte sich zur Faust.
    Eine Handspanne entfernt zerplatzte eine Flasche. Erdbeerduft erfüllte die Luft, und man hörte Glassplitter klirren. Ein kleiner Lärm inmitten einer sehr großen Stille, aber es genügte. Es genügte, um die Stille in scharfe, kleine Splitter zu zerschlagen. Der Chronist fröstelte, als ihm auf einmal bewusst wurde, was für ein gefährliches Spiel er hier trieb. Das ist also der Unterschied zwischen dem Erzählen und dem Erleben einer Geschichte , dachte er wie benommen – die Angst .
    Kote drehte sich um. »Was kann denn irgendeiner von denen über sie wissen?«, fragte er leise. Dem Chronisten stockte der Atem, als er Kotes Gesicht sah. Die gelassene Wirtsmiene glich einer zerborstenen Maske. Darunter kam ein gehetzter Blick zum Vorschein, Augen, halb in diese Welt gerichtet, halb, sich erinnernd, anderwärts.
    Der Chronist musste an eine Geschichte denken, die er einmal gehört hatte. Eine von vielen. Die Geschichte handelte davon, wie Kvothe ausgezogen war, um sich seinen Herzenswunsch zu erfüllen. Er musste einen Dämon überlisten, um es zu erlangen. Und als er es dann in der Hand hielt, musste er gegen einen Engel kämpfen, um es behalten zu können. Ich glaube daran , ertappte sich der Chronist zudenken. Bisher war es nur eine Geschichte, aber jetzt kann ich daran glauben. Das ist das Antlitz eines Mannes, der einen Engel getötet hat .
    »Was kann denn irgendeiner von denen schon über mich wissen?«, fragte Kote, Zorn in der Stimme. »Was können sie über das hier wissen?« Er machte eine kurze, heftige Handbewegung, die alles zu umfassen schien, die zerbrochene Flasche, den Tresen, die ganze Welt.
    Der Chronist schluckte gegen die Trockenheit in seiner Kehle an. »Nur das, was man ihnen erzählt.«
    Tat tat, tat-tat . Likör aus der zerborstenen Flasche begann in unregelmäßigem Rhythmus auf den Boden zu tropfen. »Ahhhh«, seufzte Kote gedehnt. Tat-tat, tat-tat, tat . »Sehr geschickt. Ihr würdet meinen eigenen besten Trick gegen mich einsetzen. Ihr würdet meine Geschichte zur Geisel nehmen.«
    »Ich würde die Wahrheit erzählen.«
    »Nur an der Wahrheit könnte ich zerbrechen. Was könnte härter sein als die Wahrheit?« Ein mattes, spöttisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Einen Moment lang hielt nur das leise Tropfen die Stille in Schach.
    Schließlich ging Kote durch die Tür hinterm Tresen hinaus. Der Chronist stand beklommen im leeren Schankraum und wusste nicht, ob er hiermit nun abgewiesen war.
    Ein paar Minuten später kam Kote wieder, einen Eimer Seifenlauge in der Hand. Ohne in die Richtung des Chronisten zu blicken, begann er, seine Flaschen vorsichtig und methodisch zu reinigen. Der Reihe nach wischte er den Erdbeerlikör von ihren Böden ab und stellte sie auf den Tresen zwischen dem Chronisten und sich, so als könnten sie ihn schützen.
    »Dann habt Ihr also einen Mythos gesucht und einen Menschen gefunden«, sagte er, ohne die Stimme oder den Blick zu heben. »Ihr habt die Geschichten gehört, und nun wollt Ihr der Wahrheit auf den Grund gehen.«
    Erleichtert legte der Chronist seine Mappe auf einem Tisch ab und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass ihm die Hände ein wenig zitterten. »Wir haben vor einiger Zeit Wind davon bekommen. Es war nur ein vages Gerücht. Ich habe wirklich nicht erwartet …« DerChronist verstummte, mit einem Mal zaghaft. »Ich hatte Euch für älter gehalten.«
    »Das bin ich auch«, sagte Kote. Der Chronist blickte verwirrt, doch ehe er etwas darauf erwidern konnte, fuhr der Wirt fort: »Und was führt Euch ausgerechnet in diesen nichtswürdigen Weltwinkel?«
    »Eine Verabredung mit dem Grafen von Baedn-Bryt«, sagte der Chronist ein wenig aufgeblasen. »In drei Tagen in Treya.«
    Der Wirt hielt beim Putzen inne. »Ihr wollt es in drei Tagen bis zum Gut des Grafen schaffen?«, fragte er.
    »Ich habe mich verspätet«, gestand der Chronist. »Man hat mir in der Nähe von Abbott’s Ford das Pferd gestohlen.« Er sah aus dem Fenster. Draußen wurde es schon dunkel. »Aber ich bin gern bereit, auf etwas

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