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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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schoss er nur so dahin. Die Sonne hatte gerade den letzten Morgentau vertrieben, und die Bauern, die bei der Weizen- und Gerstenernte auf den Feldern waren, blickten hoch, wenn wir vorüber donnerten. Keth-Selhan war schnell; so schnell, dass der Wind an meinem Umhang zerrte und ihn hinter mir flattern ließ wie eine Fahne. Obwohl ich eine recht dramatische Gestalt abgegeben haben muss, wurde mir das Zerren am Hals schnell zu viel, und ich löste den Umhang und stopfte ihn in eine Satteltasche.
    Wenn wir durch einen Wald kamen, wechselte ich wieder in den Trab. So konnte sich der Hengst ein wenig ausruhen, und wir riskierten nicht, hinter einer Kurve mit einem umgestürzten Baum oder einem langsam fahrenden Karren zu kollidieren. Wenn wir wieder auf freies Weideland kamen und den Weg sehen konnten, der vor uns lag, ließ ich ihm seinen Willen, und wir flogen buchstäblich dahin.
    Nach anderthalbstündigem Ritt schwitzte Selhan und atmete schwer, schlug sich aber besser als ich. Meine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi. Ich war zwar jung und kräftig, hatte aber seit Jahren nicht mehr im Sattel gesessen. Beim Reiten werden andere Muskeln beansprucht als beim Gehen, und Galopp zu reiten ist im Grunde genauso anstrengend wie zu laufen.
    Ich freute mich, als wir in den nächsten Wald kamen, stieg ab und ging ein Stück weit zu Fuß, um uns beiden eine wohlverdiente Pausezu gönnen. Ich schnitt einen meiner Äpfel in der Mitte durch und gab dem Hengst die größere Hälfte. Schätzungsweise hatten wir etwa dreißig Meilen zurückgelegt, und die Sonne stand noch nicht einmal im Zenit.
    »Das war der einfache Teil«, sagte ich zu Selhan und tätschelte liebevoll seinen Hals. »Du bist wirklich großartig. Und du hast noch eine Menge Puste, oder?«
    Wir gingen zehn Minuten und hatten dann das Glück, an einen kleinen Bach zu kommen, über den eine Holzbrücke führte. Ich ließ den Hengst eine gute Minute lang saufen und zog ihn dann weiter, ehe er zu viel soff.
    Dann stieg ich wieder auf und versetzte ihn ganz allmählich wieder in Galopp. Mir taten die Beine weh, und ich beugte mich über seine Kruppe. Das schnelle Trommeln seiner Hufe war wie ein Kontrapunkt zum langsamen Lied des Windes, das ohne Unterlass an meinen Ohren entlangrauschte.
    Die erste Schwierigkeit kam gut eine Stunde später, als wir einen breiten Fluss überqueren mussten. Es war nicht gefährlich, aber ich musste absatteln und alles hinübertragen, damit es nicht nass wurde. Mit nassem Sattelzeug hätte ich Selhan nicht noch stundenlang reiten können.
    Am anderen Ufer rieb ich ihn mit meiner Decke ab und sattelte ihn wieder. Das alles dauerte eine halbe Stunde, was bedeutete, dass er nun abgekühlt war und ich ihn behutsam wieder aufwärmen musste, vom Schritt zum Trab zum Kanter. Dieser Fluss warf mich insgesamt eine Stunde zurück. Ich machte mir Sorgen, dass, falls noch ein weiterer Fluss zu überqueren war, ihm die Kälte des Wassers in die Muskeln fahren könnte. Wenn das geschah, hätte nicht einmal Tehlu höchstpersönlich vermocht, ihn noch einmal in Galopp zu bringen.
    Eine Stunde später kam ich durch eine kleine Ortschaft, die vor allem aus einer Kirche und einer Kneipe bestand. Ich hielt und ließ Selhan an einer Tränke ein wenig Wasser saufen. Währenddessen streckte ich meine Beine und musterte sorgenvoll den Sonnenstand.
    Anschließend lichteten sich die Felder, und die Bauernhöfe lagen immer weiter auseinander. Die Wälder wurden größer und dichter.Die Straße wurde schmaler und war nun auch nicht mehr in gutem Zustand, an einigen Stellen steinig, an anderen ausgespült. Wir kamen immer langsamer voran. Aber ehrlich gesagt, hatten wir beide auch keine große Lust mehr auf Galopp.
    Schließlich querte ein weiterer Fluss die Straße. Er war allerdings höchstens knietief. Von dem Wasser ging ein Gestank aus, der mir verriet, dass es flussaufwärts eine Gerberei oder Raffinerie geben musste. Hier gab es keine Brücke, und Keth-Selhan watete langsam hindurch und setzte die Hufe mit Bedacht auf dem felsigen Grund. Ich fragte mich, ob es für ihn wohl ein schönes Gefühl war, so wie wenn man nach einer langen Wanderung die Füße ins Wasser baumeln lässt.
    Der Fluss hielt uns nicht lange auf, aber im Laufe der nächsten halben Stunde mussten wir ihn noch dreimal überqueren, da er sich hin und her schlängelte. Und jedes Mal wurde der beißende Gestank, der von dem Wasser ausging, schlimmer. Lösungsmittel und Säuren.

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