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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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als meine eigenen Vermutungen. Nein, ich dachte daran, was mit meiner Truppe geschehen war. Die Eltern von irgendwem haben die falschen Lieder gesungen . Aber sie hatten nicht nur meine Eltern umgebracht. Sie hatten jeden umgebracht, der so nah war, dass er auch nur einen Liedfetzen hatte aufschnappen können.
    Denna wickelte sich in meine Decke und legte sich hin, den Rücken zum Feuer. »Ich schlafe jetzt, und du darfst derweil meine immense Klugheit bewundern. Weck mich, wenn du wieder irgendein Rätsel lösen musst.«
    Es kostete mich große Willensanstrengung, wach zu bleiben. Ich hatte einen langen und äußerst anstrengenden Tag hinter mir. Sechzig Meilen war ich geritten und dann noch ein halbes Dutzend Meilen gewandert. Denna aber war verletzt und brauchte ihren Schlaf nötiger. Und außerdem wollte ich sehen, ob das blaue Leuchten im Norden noch einmal wiederkam.
    Es blieb aus. Ich hielt das Feuer in Gang und fragte mich, ob Wil und Sim sich wegen meines plötzlichen Verschwindens wohl Sorgen machten. Was war mit Arwyl, Elxa Dal und Kilvin? Würden sie sich fragen, was mit mir geschehen war? Ich hätte einen Brief hinterlassen sollen …
    Ich hatte keine Möglichkeit abzuschätzen, wie spät es war, denn der Sternenhimmel war noch immer von Wolken verborgen. Doch ich hatte schon mindestens sechs oder sieben Mal Holz nachgelegt, als ich sah, wie Denna sich regte und mit einem Mal aufwachte. Sie schreckte nicht hoch, hielt aber den Atem an, und ihre dunklen Augen blickten wirr, so als hätte sie die Orientierung verloren.
    »Pardon«, sagte ich, vor allem, damit sie sich auf etwas Vertrautes besinnen konnte. »Habe ich dich etwa geweckt?«
    Sie atmete auf und setzte sich hin. »Nein, ich … Nein, ganz undgar nicht. Ich habe jetzt erst mal genug geschlafen. Willst du?« Sie rieb sich die Augen und sah mich übers Feuer hinweg an. »Dumme Frage. Du siehst todmüde aus.« Sie begann sich aus der Decke zu schälen. »Hier, nimm …«
    Ich winkte ab. »Nein, behalt die Decke. Mein Umhang ist warm genug.« Ich zog mir die Kapuze über den Kopf und legte mich ins Gras.
    »Ganz der Gentleman«, neckte sie mich und legte sich die Decke um die Schultern.
    Ich schob mir einen Arm unter den Kopf, und wie ich noch über eine geistreiche Antwort nachsann, war ich auch schon eingeschlafen.

    Ich erwachte aus einem düsteren Traum, in dem ich mich durch den Straßenverkehr einer großen Stadt gekämpft hatte, und sah Dennas Gesicht über mir, rosig und von den Schatten des Feuerscheins konturiert; eine sehr angenehme Art aufzuwachen.
    Ich wollte gerade etwas Entsprechendes sagen, doch sie hatte mir schon einen Zeigefinger auf die Lippen gelegt, was mich auf ungefähr achtzehn verschiedene Weisen verwirrte.
    »Still«, flüsterte sie. »Hör mal.«
    Ich setzte mich auf.
    »Hörst du das?«, fragte sie.
    Ich legte den Kopf auf die Seite. »Das ist nur der Wind …«
    Sie schüttelte den Kopf und brachte mich mit einer Handbewegung zum Verstummen.
    Und da hörte ich es. Im ersten Moment dachte ich, es hätten sich irgendwo ein paar Felsbrocken gelöst und würden nun den Hang hinabpoltern. Aber das war es nicht, denn das Geräusch verklang nicht in der Ferne. Es hörte sich eher so an, als würde etwas den Hügel hinaufgeschleift.
    Ich stand auf und sah mich um. Während ich geschlafen hatte, hatten sich die Wolken verzogen, und nun tauchte der Mond das Land ringsum in ein fahles Silberlicht. Unsere Feuerstelle war ein glühendes Kohlenbett.
    In diesem Moment hörte ich, nur ein Stück den Hang hinunter … dass ich einen Ast brechen hörte, wäre irreführend. Wenn ein Mensch im Wald einen Ast bricht, hört man es kurz knacken. Die Äste, die ein Mensch versehentlich abbrechen kann, sind dünn oder morsch und leisten wenig Widerstand.
    Doch was ich da hörte, war nicht einfach das Brechen eines Astes. Es war ein lang gedehntes Krachen und Knarzen. Es klang, als würde ein beindicker Ast von einem Baum abgerissen.
    Und als ich mich zu Denna umsah, hörte ich das andere Geräusch. Wie soll ich es bloß beschreiben?
    Als ich ein kleiner Junge war, ging meine Mutter mit mir in Senarin in eine Tierschau. Es war das erste Mal, dass ich einen Löwen sah, und auch das erste Mal, dass ich einen brüllen hörte. Die anderen Kinder im Publikum bekamen es mit der Angst, ich aber lachte vor Begeisterung. Das Geräusch war ein so tiefes Grollen, dass es in meiner Brust widerhallte. Das war ein köstliches Gefühl, und ich erinnere

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