Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
nicht sein: ein DÜSTERHIRN!
Kass verzog das Gesicht. »Ein Düsterhirn? Was soll das heißen?« »Ähm, ich glaube . . . ach, ich weiß nicht«, seufzte Max-Ernest. »Ich nehme an, es heißt so viel wie Stroh im Kopf haben oder so. Vielleicht können wir deshalb in dem Buch nicht lesen.«
»Das Notizbuch ist leer, da gibt’s nichts zu lesen.«
»Woher willst du das wissen? Was, wenn das Geschriebene unsichtbar ist? Was, wenn er Zaubertinte verwendet hat? Vielleicht ist das Gedicht ein Geheimcode, und wenn wir ihn knacken, kommen wir hinter das Geheimnis.«
Kass dachte nach. »Ich finde nicht, dass es ein sehr gutes Gedicht ist, falls es überhaupt ein Gedicht ist. Womöglich hast du recht mit dem Geheimcode. Es ist von einem Schulmeister und vom Rechnen die Rede. Meinst du, wir müssen mathematisch denken?«
»Das wäre viel zu leicht«, sagte Max-Ernest entschieden. »Jeder weiß, dass elf und zwei dreizehn ist. Der springende Punkt bei einem Geheimcode ist der, dass man nicht so schnell dahinterkommt.«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen. Und was ist mit der Beerdigung? Wieso steht da, dass ein Barde gern Grabreden hält? Soll das lustig sein?« Kass betrachtete das Notizbuch. »Irgendwie verrückt. Vielleicht steht es nur da, weil es sich reimt.«
»Das steht nicht nur da, weil es sich reimt, da steckt noch etwas anderes dahinter.«
Verärgert gab Kass ihm das Notizbuch. »Dann sieh zu, dass du es rausfindest. Was macht dich eigentlich zum Geheimcode-Experten? Wie viele hast du bis jetzt schon geknackt?«
»Geheimcodes meinst du?«
Kass nickte.
»Du meinst, abgesehen von der Symphonie der Düfte?«
Kass nickte.
»Äh, na ja, keinen«, gab Max-Ernest zu. »Aber ich habe jede Menge darüber gelesen.«
»Das heißt, du hast nicht den geringsten Schimmer von Geheimcodes«, stellte Kass mit Genugtuung fest, denn sie war überzeugt davon, dass nichts über die eigene Erfahrung ging.
Sie warf Max-Ernest einen Blick zu, als wartete sie darauf, dass er ihr widersprach, aber er hatte ihr gar nicht richtig zugehört, denn seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Notizbuch.
Nach einer Weile rief er: »Es ist so offensichtlich! Kaum zu glauben, dass uns das nicht schon früher aufgefallen ist.«
»Wovon redest du?«
»Sieh dir mal die Wörter in Großbuchstaben an. SCHLAU und LAUSCH... SCHULMEISTER und in der nächsten HERCULES und dazu MIST, dann VERRÜCKTE ZEILEN und VERZÜCKEN EREILT...«
»Ja und?«
»Es sind Anagramme!«
Kass nickte. »Stimmt genau.« Dann fragte sie: »Was ist ein Anagramm?«
»Wenn zwei Wörter die gleichen Buchstaben haben, aber in unterschiedlicher Reihenfolge. Wenn allerdings ein Wort, rückwärts gelesen, ein anderes Wort ergibt, dann ist das eine Art Spiegelschrift und man nennt es Palind–«
Kass schnitt Max-Ernest das Wort ab, bevor er eine Unterrichtsstunde halten konnte. »Okay, ich hab’s kapiert. Es sind Anagramme.«
»Das gilt auch für ELF UND ZWEI. In anderer Reihenfolge ergeben die Buchstaben UND ZWEIFLE«, fuhr Max-Ernest fort. »Nur ein Einziges der großgeschriebenen Wörter hat keine Entsprechung, und zwar –«
»DUESTERHIRN!«, beendete Kass für ihn den Satz.
»Wir müssen also ein Anagramm für DUESTERHIRN finden.«
Max-Ernest schnappte sich ein Blatt Papier und sie fingen an, sich verschiedene Buchstabenkombinationen auszudenken (Kass hatte das schon einmal mit ihren Großvätern gemacht, als sie Boggle und Scrabble spielten):
RUDERT ES HIN
HUSTEND IRRE
DIE STERNUHR
DREI EHRT UNS
HUSTE RINDER
Und so weiter. Die meisten Buchstabenkombinationen waren reinstes Kauderwelsch und ergaben keinen Sinn. Und keine passte zum Inhalt des Gedichts. Sie versuchten es mit DIESER RUHT oder DER REISHUT, aber dann merkten sie, dass sie einen Buchstaben zu wenig hatten. Und die ganze Zeit über führte Max-Ernest Selbstgespräche.
»Kannst du nicht mal eine Sekunde lang den Mund zumachen?«, fragte Kass.
»Ich glaube, ich hab’s«, sagte Max-Ernest mit zusammengebissenen Zähnen.
»Was?«
»SIEH DRUNTER!«, rief er und gab es auf, mit geschlossenem Mund zu sprechen, denn er war viel zu aufgeregt. »Wenn du meine Geschichte lesen willst... SIEH DRUNTER! Wie findest du das?«
Kass nickte. »Ja, das muss es sein! Bestimmt meint er damit: unter die Erde sehen. Meinst du, er hat etwas vergraben?«
Sie hatten keine Zeit mehr, weiter zu beratschlagen, denn Kassandras Mutter war gekommen, um sie und Sebastian abzuholen. Obwohl Kass Max-Ernest nur ungern verließ,
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