Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
kein Scherz gewesen, als sie gesagt hatte, sie dürfe bei den zwei Großvätern tun und lassen, was sie wolle. Sobald ihre Mutter abgereist war, würde sie freie Bahn haben, um zum Haus des Magiers zurückzukehren und dort zu graben. Und um das Geheimnis seines Todes zu lüften. Und um dem Rest der Menschheit ein ähnliches Schicksal zu ersparen. Und um danach alle Welt wissen zu lassen, was für eine Heldin sie war und dass ihre Vorhersagen treffsicher waren und sie nicht einfach nur blinden Alarm schlug.
Kapitel neun
An der Leine
U nglücklicherweise schien die Mutter der Meinung zu sein, dass Kassandra während ihrer Abwesenheit weniger statt mehr Freiheiten zugestanden werden sollten.
Eine Woche nach ihrer Ankündigung zu verreisen und kurz bevor sie zum Flughafen fuhr, verschwendete sie geschlagene zwanzig Minuten darauf, alles aufzuzählen, was Kass nicht tun durfte, einschließlich die Rutschstange hinunterrutschen und auf der Ladefläche von Waynes Lastwagen mitfahren. Und das, obwohl sie schon viel zu spät dran war.
Schließlich drückte sie Kassandra eine Kreditkarte in die Hand. »Für den Notfall«, sagte sie. »Der aber hoffentlich nie eintreten wird!« Dann wandte sie sich an Kassandras Ersatzgroßväter (und nun auch noch Ersatz-Erziehungsberechtigte). »Denkt dran, sie ist noch längst nicht so erwachsen, wie sie manchmal tut. Sie ist immer noch unser kleines Mädchen.«
Was so ziemlich das Ärgerlichste war, was eine Mutter sagen konnte.
»Keine Sorge – wir halten sie fest an der Leine«, versprach Großvater Larry.
Was Kass noch viel mehr verärgerte.
»Klar doch, wir haben noch eine von Sebastians Leinen übrig«, scherzte Großvater Wayne.
Das war nicht komisch, das war ganz und gar nicht mehr komisch.
Kass an der Leine zu halten, war offenbar gleichbedeutend damit, sie überallhin mitzuschleppen.
Kaum war die Mutter abgereist, zerrten Großvater Larry und Großvater Wayne Kass nach der Schule mit zu Flohmärkten, Tauschbörsen, Hinterhofhändlern und Schrottplätzen. Sie behaupteten, »nur mal kurz die Konkurrenz ausspähen« zu wollen, aber Kass fiel auf, dass sie nie mit leeren Händen nach Hause zurückkehrten. Nach zwei Tagen in ihrer Gesellschaft hatte Kass für alle Zeit genug von altem, kaputtem Plunder.
Trotzdem waren diese Ausflüge noch angenehm im Vergleich zu den Stunden im Laden. Die ganze Zeit über fürchtete Kass, dass Gloria auftauchen und ihren Ersatzgroßvätern von dem Vorfall im Haus des Magiers erzählen könnte. Wie hatte Gloria sie noch gleich beschimpft? Als Hausfriedensbrecher und Diebe? Diese Anschuldigungen würden Larry und Wayne bestimmt veranlassen, ihre Mutter zu benachrichtigen. Woraufhin diese unverzüglich ihre Reise abbrechen und nach Hause zurückkehren würde. Woraufhin Kass in der schlimmsten Patsche säße, die man sich vorstellen kann.
Weil sie die Anspannung nicht länger aushielt, fragte Kass ihre Großväter, ob sie in letzter Zeit etwas von Gloria gehört hätten.
»Oh, mach dir keine Gedanken, sie taucht schon wieder auf«, sagte Großvater Wayne, der Kassandras besorgte Frage gründlich missverstand. »Und dann schleppt sie wieder alles Mögliche hier an. Vielleicht hat sie diesmal ja eine neue Rechenmaschine für uns. Wäre das nicht cool?«
Kass war sich nicht sicher, was noch weniger cool war als eine neue Rechenmaschine, es sei denn, dass Großvater Wayne cool sagte. Seine Antwort war jedenfalls nicht dazu angetan, sie zu beruhigen.
Aber Gloria ließ sich auch am nächsten Tag nicht blicken. Und am übernächsten. Und am überübernächsten. So langsam wurde Kassandras Angst vor einem Wiedersehen mit Gloria abgelöst durch die Angst vor einem Nimmerwiedersehen. Was, wenn Dr. L und Madame Mauvais ihr etwas zuleide getan hatten? War das der Grund, warum Gloria wie vom Erdboden verschluckt war? Je mehr Kass darüber nachdachte, desto mehr gelangte sie zu der Überzeugung, dass Gloria etwas Schreckliches zugestoßen sein musste. Das Haus des Magiers war so abgelegen – Glorias Leiche konnte verrotten und niemand würde sie je finden.
Am darauffolgenden Samstag verkündeten Kassandras Großväter, dass es Zeit sei für die alljährliche Inventur. Jeder einzelne Gegenstand im Laden musste gezählt werden. Kass wollte sich gar nicht erst ausmalen, was das bedeutete. Im Laden herrschte ein solches Durcheinander, dass es vermutlich ein ganzes Jahr dauern würde, alles zu katalogisieren – und dann stand gleich wieder die nächste
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