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Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Titel: Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pseudonymous Bosch
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dass sie nicht die war, die sie zu sein vorgab. Ja, wie du wohl schon vermutest, war die Goldene Dame jene Dame, deren Stimme mir das Gefühl gab, als würde ich ertrinken. Ich zittre jetzt noch, wenn ich daran denke. Ich machte Ausflüchte, erinnerte meinen Bruder daran, dass wir so viel zu tun hätten. Er sagte nur, die Arbeit könne warten. Was denn in mich gefahren sei, wollte er wissen. Da bot uns diese freundliche Dame an, in ein richtiges Restaurant zu gehen – und ich wollte nicht! Und so ging es weiter. Ich vermute, er war bis über beide Ohren in die Frau verliebt. Schließlich schlug die Goldene Dame vor, dass Luciano allein mit ihr essen gehen solle. »Wenn ich schon nicht beide Brüder haben kann, dann wenigstens einen«, sagte sie, als wäre sie ein kleines Mädchen und wir Spielzeuge aus einem Spielzeugladen. Mir fiel auf, dass Luciano nicht ganz wohl war bei dem Gedanken, zum ersten Mal in seinem Leben von mir getrennt zu sein, aber wir waren viel zu wütend aufeinander, um beide ihr Angebot abzulehnen. Mein Bruder ging ohne ein Abschiedswort weg. Ich schlug mir die Nacht um die Ohren, wartete auf Luciano und malte mir all die schrecklichen Dinge aus, die ihm zugestoßen sein könnten. Als er am nächsten Morgen noch immer nicht zurückgekehrt war, suchte ich die Straßen ab nach irgendwelchen Anzeichen für einen Unfall. Dann suchte ich das Zirkusgelände ab, falls er sich wegen unseres Streits vor mir versteckte. Aber mein Bruder war nicht da.
    Ich ging zum Zirkusdirektor in seinen Wohnwagen. Er schien sehr überrascht zu sein, mich zu sehen. Er starrte mich an, als wäre ich ein Geist oder hätte ein Geweih auf dem Kopf. Aber er fasste sich rasch wieder und bellte mir Befehle zu. Es sei Zeit, die Zelte abzubrechen, warum ich denn hier herumtrödelte? Als ich mit ihm über Luciano reden wollte, sagte er, er sei zu beschäftigt, um sich Gedanken über meinen Bruder zu machen. Dass der Zirkusdirektor oft ungeduldig war, kannte ich schon, mich verwirrte vielmehr das, was er noch hinzufügte. »Die Dame machte einen sehr freundlichen Eindruck«, murmelte er vor sich hin. »Bestimmt wird es deinem Bruder nicht schlecht ergehen.« Woher wusste er das? Hatte er die Goldene Dame kennengelernt? Während er das sagte, fiel mir auf, wie er etwas vom Tisch aufhob. Es war ein Bündel Geldscheine und er spielte nervös damit herum. Ich war noch jung, aber ich hatte genug von der Welt gesehen, um zu begreifen, was das für Geld war. Heutzutage wäre es ein Skandal, zehnjährige Zwillinge an Fremde zu verkaufen. Aber wir lebten unter Zirkusleuten. Mein Bruder und ich, wir waren nur eine Attraktion, nicht viel besser als dressierte Affen. Ich war nicht sonderlich überrascht, dass der Direktor uns für ein paar Geldscheine verkauft hatte. Aber ich hasste ihn dafür. »Ich bringe dich um!«, schrie ich, dann rannte ich, so schnell ich konnte, aus dem Wohnwagen – und vom Zirkus weg. Der Rest meiner Geschichte umfasst siebzig Jahre, ist aber rasch erzählt.
    Ich hütete mich, zur Polizei zu gehen. Ich war jung und italienischer Abstammung und ein Schausteller – und das alles sprach gegen mich. Stattdessen verbrachte ich Jahre auf der Straße, auf der Suche nach meinem Bruder, immer Ausschau haltend nach dem sichelförmigen Muttermal im Nacken. Aber ich fand keinen Hinweis. Bis auf einen. Einige Tage, nachdem ich weggelaufen war, fuhr ich per Anhalter in die Stadt, in der der Zirkus gerade Station machte. Ich war entschlossen, den Direktor im Schlaf zu ermorden. Wie ich das bewerkstelligen wollte, wusste ich aber noch nicht so recht. Ich hatte weder eine Waffe noch Erfahrung als Mörder. Aber ich kam zu spät. Dort, wo der Zirkus hätte sein sollen, war nur noch Asche. Benommen stolperte ich zwischen den verbrannten Jahrmarktsbuden umher. Einige größere Überreste schwelten noch und Rauch hing in der Luft. Aber da war noch ein anderer ekelerregender Geruch. Damals dachte ich, es sei der Gestank verfaulter Eier, aber inzwischen weiß ich, es war Schwefel. Ich konnte nicht sagen, was genau passiert war, aber eins wusste ich: Das Feuer hatte mir gegolten. Unter der Asche und dem Schutt entdeckte ich ein zerknittertes Blatt Papier. Schon von Weitem erkannte ich die Handschrift. Es war eine Nachricht meines Bruders, geschrieben in dem Geheimcode, den wir uns für die Symphonie der Düfte ausgedacht hatten. Auf dem Zettel stand nur ein Wort: Hilfe.
    Dieses Wort war wie ein Dolchstoß mitten in mein Herz. Nachdem mein

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