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Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Titel: Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pseudonymous Bosch
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wann sie Geburtstag hatte, konnte ich Luciano das Datum ganz einfach mitteilen, indem ich mit verschiedenfarbigen Schals herumhantierte. Er tat dann so, als müsse er scharf nachdenken, bevor er das Datum laut ausrief, als habe er in Trance eine Eingebung gehabt. So gaben wir vor, großartige Gedankenleser zu sein. Mit der Zeit wurde unsere Nummer immer glanzvoller. Die Frau des Zirkusdirektors nähte Satinumhänge und Turbane für uns, und Sammy, der inzwischen unser Freund geworden war, half uns, zauberhafte Effekte mit Musik und Rauch und bunten Lichtern einzubauen. Aber erst als ein mysteriöses Geschenk bei uns eintraf, wurde unsere Nummer zum wahren Renner – und fand zugleich ihr Ende. Eines Nachmittags brachte uns ein einheimischer Junge ein großes, in braunes Papier eingewickeltes Päckchen. Er sagte, eine wunderschöne Dame hätte ihm einen Dollar gegeben – in jenen Tagen ein Vermögen –, damit er es bei uns abliefere. Gleich als er verschwunden war, rissen wir das braune Papier auf. Zuerst begriffen wir nicht, was wir da vor uns hatten oder warum es uns jemand geschenkt hatte. Es war eine Holzkiste, sie war sehr alt und enthielt mehrere Dutzend Glasphiolen. War es eine Art Chemiebaukasten? Welchen Zweck hatte es? Erst als wir eine kleine Messingplakette entdeckten, auf der Symphonie der Düfte stand, kam uns die Erleuchtung. War es möglich? Gab es tatsächlich noch andere Menschen auf der Welt, die Musik und Gerüche als Einheit wahrnahmen? Was für eine wunderbare Vorstellung. Nach einigen Tagen des Herumexperimentierens stellten wir fest, dass wir die Düfte verstärken konnten, indem wir ein Feuer machten und wenige Tropfen hineingossen. Dann stieg farbiger Rauch auf und der Duft erfüllte die Luft. Wir fügten noch etwas Schießpulver hinzu – gerade so viel, dass Funken schlugen. Zusammen mit dem Rauch und dem Aroma war es umso beeindruckender. Luciano und ich übten jeden Tag, bis wir in der Lage waren, uns mithilfe des Duftnebels zu verständigen – wir nannten es »Rauchsignale geben«. Stell dir vor – jetzt konnte ich Luciano den Namen der Lieblingskatze eines Zuschauers nennen, einzig und allein indem ich den Duft von Senf aufsteigen ließ! Unsere Zirkusnummer war im wahrsten Sinne des Wortes ein »Fest für alle Sinne« geworden. Dem Direktor gefiel das so gut, dass er für uns ein eigenes Zelt aufbaute mit einer großen Fahne, auf der stand: Die erstaunlichen Bergamo-Brüder und ihre Symphonie der Düfte . In jeder neuen Stadt stellte er Plakate auf, die unsere Show anpriesen. Und das Publikum strömte in Scharen herbei. Ein Jahr war vergangen, seit wir zum Zirkus gestoßen waren, als wir in Kansas haltmachten. In der Zeitung stand ein Artikel über unsere Zirkusnummer und wir überlegten, ob die Cousine unserer Mutter kommen würde, um uns zu sehen. Wer weiß, dachten wir, vielleicht sind unsere Eltern inzwischen von Italien herübergekommen und ebenfalls da!
    Während der Vorstellung ließ ich den Blick über die Zuschauer schweifen, aber mir fiel niemand auf. Niemand außer einer Frau, die erst gegen Ende der Show ins Zelt kam – und jeden Gedanken an meine Eltern auslöschte. Diese Frau war so schön, dass die Welt um sie herum still-zustehen schien. Sie hatte große blaue Augen und ihre Taille war so schmal, dass dies allein schon eine Zirkusattraktion gewesen wäre. Sie hatte lange blonde Haare und trug lange, elegante Handschuhe, die ihr bis zu den Ellbogen reichten, und funkelnden Goldschmuck. Eine Goldene Dame, das war sie. Später sah ich sie am Zelteingang stehen. Als das Publikum sich zerstreut hatte, lächelte sie und sagte meinem Bruder und mir, wie sehr sie von unserer Vorstellung beeindruckt sei. »Hat euch das Geschenk gefallen?«, fragte sie. »Ihr scheint eine gute Verwendung dafür gefunden zu haben.« »Welches Geschenk?«, fragte ich. »Nun, die Symphonie der Düfte natürlich! Sie ist sehr kostbar, müsst ihr wissen. Ein französischer Arzt hat sie vor langer, langer Zeit gemacht. Auch als Wissenschaftler war er sehr den Künsten zugetan.« Wir wollten ihr danken, aber sie sagte, sie hätte uns einen Vorschlag zu unterbreiten und ob wir dies nicht bei einem Essen besprechen wollten. Da wir noch nie in einem Restaurant gewesen waren, war ihr Angebot sehr verlockend und mein Bruder nahm die Einladung begeistert an. Ich hingegen wollte nicht mitgehen. Es gab eigentlich keinen Grund für mein Misstrauen.
    Und doch, sobald ich die Frau reden hörte, wusste ich,

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