Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
gehofft, dass sie nicht nur Benjamin, sondern auch Luciano retten könnte. Sie hatte sich vorgestellt, dass der Bruder des Magiers ein gebrechlicher alter Mann war, mit langen grauen Haaren, eingesperrt in eine Gefängniszelle. Ihr Plan sah vor, auch ihn zu befreien. Sie wollte ihm sagen, wie sehr Pietro ihn geliebt hatte. Um ihm seinen Lebensabend zu verschönern.
Und nun war ausgerechnet der vermeintliche Gefangene in Wahrheit ihr Gefängniswärter.
Madame Mauvais, anders konnte Kass es sich nicht erklären, hatte ihn, als er noch ein kleiner Junge war, einer Gehirnwäsche unterzogen.
Sie hatte ihn gegen seinen eigenen Bruder aufgehetzt. Ihn in das verwandelt, was er heute war.
Aber das zählte nicht als Entschuldigung. Es entschuldigte keine Entführung – oder Mord.
Sich vorzustellen, dass Pietro sein Leben damit zugebracht hatte, seinen Bruder zu suchen, der nichts anderes war als ein Verräter!
Kass fühlte sich betrogen. Und zwar ganz persönlich.
***
Max-Ernest pflichtete ihr bei, dass Dr. L die schlimmste Strafe verdiente, die man sich nur ausdenken konnte. Er schlug so viele verschiedene Arten vor, dass Kass ihn schließlich anflehte, damit aufzuhören, und stattdessen anfing, Fluchtpläne zu schmieden.
Leider war das viel schwieriger, als Strafen zu erfinden.
In den zweieinhalb Stunden, seit Dr. L davon gesprochen hatte, »es müsse heute Nacht stattfinden« (was immer es auch war), herrschte in dem Spa hektisches Treiben.
Die Lichtkugel, die vorher abgedunkelt gewesen war, blinkte rhythmisch. Sie tauchte das Gelände in ein grelles Licht und zugleich übermittelte sie eine bestimmte Botschaft, wenn auch Kass und Max-Ernest überzeugt waren, dass die Nachricht nicht im Morsealphabet gesendet wurde.
Durch das Fenster in Kassandras Zimmer hatte man eine gute Sicht auf die Eingangstore der Anlage. Kass und Max-Ernest beobachteten, wie die Tore sich alle paar Minuten öffneten und jedes Mal neue Gäste ankamen, von der Leuchtkugel der Pyramide angezogen wie Motten vom Licht. Mittlerweile waren mindestens vierzig Besucher eingetroffen, sodass sich nun ungefähr doppelt so viele Leute in dem Spa aufhielten wie vorher und der Platz um die Pyramide herum Schauplatz wurde für eine seltsame, nicht sehr fröhliche Party.
Aus der Ferne konnte man nur schwer erkennen, ob die Neuankömmlinge etwas gemeinsam hatten – abgesehen davon, dass alle aussahen, als kämen sie von einem weit entfernten Ort oder aus einer lange zurückliegenden Zeit oder beides. Ein Mann trug Zylinder und Weste, ein anderer das arabische Keffiyeh. Eine Frau kam in einem klassischen Kimono, eine andere trug einen Sari. Manche Gäste fuhren Autos, die so alt waren, dass sie Pferdekutschen ähnelten, manche kamen sogar zu Pferde.
Kass und Max-Ernest wussten nur eins: Was immer auch heute Nacht geschehen würde, diese Leute hatten sehr, sehr lange darauf gewartet. Einige waren so begierig darauf, in die Pyramide zu gelangen, dass sie ganz nah an den Rand des Wassergrabens traten, als wollten sie jeden Augenblick hinüberwaten.
Madame Mauvais, die noch mehr glitzerte als üblich, mischte sich unter die Leute wie eine perfekte Gastgeberin – winkend, grüßend, gestikulierend. Mal schien sie ihre Gäste um Nachsicht zu bitten, mal ihre Ungeduld anzuheizen.
Schließlich schwangen die großen Bronzetore am Fuß der Pyramide auf und eine schmale Zugbrücke wurde heruntergelassen. Während die Menschen sich um die Brücke drängten, konnte Kass sie genauer betrachten und sie stellte beunruhigt fest, dass sie tatsächlich alle eins gemeinsam hatten.
»Siehst du das . . .?«, sagte sie zu Max-Ernest.
»Was?«
»Alle tragen Handschuhe.«
Draußen vor dem Fenster, mit dem Rücken zu Kass und Max-Ernest, beobachteten auch Daisy und Owen das Schauspiel. Seit Stunden versuchte Kass, Owens Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, in der Hoffnung auf sein Mitgefühl und darauf, dass sie sich den Funken Freundschaft zwischen ihnen nicht nur eingebildet hatte.
Nun, wo Daisys Interesse ganz den Ereignissen vor der Pyramide galt, unternahm Kass einen erneuten Versuch. Aber Owen tat so, als merke er es nicht, obwohl sie ziemlich sicher war, dass er sie aus dem Augenwinkel beobachtete.
»Er ist auch nicht viel besser als die anderen«, seufzte sie enttäuscht. »Ich weiß gar nicht, wie ich annehmen konnte, er wäre nett...«
Sie hörte auf zu reden, um dem Gespräch draußen besser folgen zu können.
»Die wichtigste Nacht des ganzen Jahres«,
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