Der Narr
was!«, gab sie kühl wie immer zu verstehen. »Bei der Presse ist ein unterzeichnetes Geständnis von Ihrem Fahrer eingelangt, in dem er bezeugt, dass Sie nichts mit seinem Verhalten zu tun haben.«
»Ausgezeichnet. Wo ist das Problem?«
»Auf dem Schreiben steht auch, dass Sie ihm versprochen haben, sich um seine Tochter zu kümmern, falls ihm etwas passiert. Vielleicht sollten sie darüber auch mit Mayr reden.«
*
Sam blickte auf die verrückteste Woche seines Lebens zurück. Nie hätte er sich vorstellen können, dass ihn nur eine Woche bei Minsk derart verändern könnte. Was hatte Minsk mit ihm gemacht? Hatte er ihm eine Gehirnwäsche verpasst, ohne dass er es bemerkt hatte?
Abends kehrte im Hause Minsk selten Stille ein. Jedes Mal wurde ein Fest damit eingeleitet, dass der Hausherr Musik auflegte. Von Liedern aus den Dreißigern über russische Folklore bis zu moderner Musik, Minsk fand immer das Passende, um die Stimmung in die richtigen Bahnen zu lenken.
Anfangs versuchte Sam, sich dem ganzen Treiben zu stellen und einen klaren Kopf zu behalten, doch es war unmöglich. Bald hatte er Geschmack an Minsks Hauswein, einem starken, südafrikanischen Rotwein, gefunden. Er musterte das Etikett, auf dem ein Phönix abgebildet war. War es reiner Zufall, dass der Wein ›Thelema‹ hieß?
Er schmunzelte über die Witze des Gastgebers, der die Menge immer wieder mit seinen Anekdoten begeisterte. Er konnte sich vor Lachen nicht mehr halten, als der russische Clown, ein Kollege von Minsk, eines Abends in der Villa eintraf. Der Anblick dieses rundlichen Gesichts mit seinen weit aufgerissenen Augen brachte einen einfach zum Lachen. Der Clown war stets als erster besoffen. Immer wieder verbockte er etwas und sah dann furchtsam in die Runde. Kaum blickte jeder auf ihn, war es so weit: Er klatschte sich mit den Händen auf die Wange, und spielte die perfekte Panik. Wie ein aufgescheuchtes Huhn rannte er umher und unter dem Gelächter der Gäste ließ er sich von einem Blödsinn zum nächsten verleiten.
Sam stieß mit Männern und Frauen jeden Alters an. Unter Minsks Gästen waren viele Künstler, aber auch Ingenieure, Ärzte und Anwälte gesellten sich abends dazu. Und obwohl Sam unzählige Sprachen hörte und jeder eine andere, bewegende Geschichte zu erzählen wusste, kamen sie alle immer wieder darauf zu sprechen, wie sie Minsk kennengelernt hatten.
Egal was immer auch passierte, Minsk stand im Zentrum des Geschehens. Anfangs war es Sam noch unheimlich gewesen, wie sein Gastgeber angehimmelt wurde, doch schon bald unterlag auch er dem Charme des Russen.
So berauschend die Nächte auch waren, die Tage waren voller Strebsamkeit. Er hatte Minsks Angebot, ihn zu unterrichten, angenommen, denn er war sich sicher, nur dann den Mord selbst lösen zu können, wenn er über die Motive des Mörders Bescheid wusste und ihren okkulten Hintergrund verstand. Gleichzeitig bot Minsk aber auch die perfekte Ablenkung. Bei ihm zu sein, war wie in eine andere Welt abgetaucht zu sein. Die Probleme der Vergangenheit und auch die Angst davor, von der Polizei verhaftet zu werden, waren weit weg. Es war die perfekte Auszeit, um den Alltag und die Sorgen wegzuschieben.
Unter der Beobachtung von Muschka erzählte der Russe ihm tagsüber von den Praktiken antiker Zauberer. Sam lernte die Welt ägyptischer Priester, römischer Auguren und keltischer Druiden kennen. Ihm war es, als würde er in die Vergangenheit reisen, um die Welt mit den Augen der Antike zu sehen.
Der Professor forderte Sam auf, Yoga-Übungen zu machen und lehrte ihn, wie Meridiane und Chakren funktionierten. Minsk erklärte ihm, dass er jede Übung dazu verwenden konnte, seinen Willen auszurichten. Jedes Essen begann mit einem Ritual. Sam klopfte dabei mehrmals auf den Tisch und wurde von Minsk gefragt: »Was willst du?« Sam antwortete darauf mit »Magie erlernen«, worauf Minsk wiederum fragte »Mit welchem Ziel?« – »Freiheit zu erlangen.« – »Mit welchem Ziel?« – »Mein höchstes Glück im Leben zu erfüllen.« Erst dann stießen sie mit den Gläsern an und begannen zu essen. Anfangs kamen ihm diese Rituale seltsam vor, doch speziell dann, wenn er müde war und eine Pause machte, hallten die Worte in seinem Kopf wider: »Mein höchstes Glück im Leben zu erfüllen.«
Sams Hirn drohte zu zerbersten, doch sog er alles auf. Vom Wissen über den englischen Universalgelehrten John Dee bis zu Lehren des Jahrhunderte später nachfolgenden Aleister Crowley, von
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