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Der Narr

Der Narr

Titel: Der Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Papp
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den alt-babylonischen Vorstellungen über die Astrologie bis zu modernen magischen Auslegungen, in denen nur mehr das zählte, was funktionierte, und der Magier vollkommen frei in seinem Wirken war.
    Magie wurde für Sam mehr, als die romantisch-verklärte Vorstellung, bei Kerzenlicht und Patschuli-Duft mystischen Gesängen zu lauschen. Es war mehr, als über irgendwelche abstrakten Ebenen zu philosophieren und sich dem Lichtrausch hinzugeben. Mehr, als nur davon zu sprechen, was man alles tun könnte. Minsks Verständnis von Magie war subtil und unscheinbar; sie offenbarte sich in den kleinen Dingen und barg für den, der es befolgte vor allem eines: Handlungsspielraum.
    Und dann kam der Tag, an dem er wieder in die Realität zurückgerissen wurde. Und wieder einmal war es eine Frau, die alles auslöste: Nadja! »Es ist so ein schöner Tag und du bist in Gedanken versunken«, sprach sie ihn unerwartet an, als er im Garten über ein kabbalistisches Rätsel sinnierte. »Nachdenken kannst du auch später«, lachte sie und nahm ihn bei der Hand. »Komm, der Tag ist so schön! Ich hab Lust, etwas zu unternehmen. Wir fahren jetzt zum Badesee!«
    Sam ahnte bereits, was passieren würde. Es genügte, Nadja nur einen Moment lang anzusehen, und er sah in ihr eine wunderschöne Frau, die von der Leichtigkeit des Seins beseelt war. Ja, sie waren am Badesee. Aber von der Umgebung hatte er nichts mitbekommen. Sie hatte ihn mit ihrem Lebensgeist, ihrem Charme voll und ganz eingefangen. Er war Wachs in ihren Händen. Sie erzählte ihm begeistert von Russland, von ihrem Leben als Tänzerin und von ihren Träumen. Sam hätte ihr stundenlang zuhören können und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass dieser Tag niemals enden mochte.
    Als es dämmerte, saß er wieder in Minsks Garten und hatte einen Entschluss gefasst. Der Russe hatte ihm die Türen geöffnet, aber mit Nadja kam in ihm der Drang, diese auch zu durchschreiten. Er musste endlich den Mord aufklären, um wieder frei zu sein.

    *

    Im Mittelalter hätte man Remmel vermutlich wegen seiner radikalen Wandlung zum Exorzisten geschickt. Er kam morgens pünktlich, arbeitete fleißig und Hanni konnte sogar schwören, dass die Süßigkeiten weniger wurden. Immer wieder sah sie ihn nach der Mittagspause auf die Pinnwand starren, an die er die Fakten zu dem Fall gesteckt hatte. Ihr Kollege wirkte zielstrebig, klar und irgendwie sogar männlich.
    Nicht einmal die Zicken aus der Administration trauten sich, noch etwas zu sagen, nachdem er auf den Tisch gehauen hatte. Plötzlich war möglich geworden, worum er unzählige Male davor oft gebeten hatte. Hanni war zu ihm in sein Büro verlegt worden.
    Ihr Tablet piepste. Sie nahm den Videoanruf an. Am Bild erschien das Gesicht der bleichen Frau Loidl. »Sie haben um einen Rückruf gebeten?«, fragte Alices Freundin.
    Hanni kam sofort zur Sache: »Frau Heisenstein und Sie. Das war doch mehr als eine Freundschaft.«
    Hanni sah, wie die junge Frau rot wurde. Sie fuhr sich verlegen durch ihr kurzes Haar und seufzte. »Sie werden doch nicht etwa eine kleine Romanze vor ein paar Jahren als die große Liebe abtun«, gab sie zurück.
    »Warum haben Sie uns das verschwiegen?«, fragte die Ermittlerin.
    »Ihre sexuelle Ausrichtung und der Mord sind zwei verschiedene Dinge«, antwortete Frau Loidl schroff.
    Remmel blickte immer noch auf die Pinnwand. Noch schien nichts seine Aufmerksamkeit genügend erregt zu haben, um sich dem Gespräch voll und ganz zu widmen. Aber Hanni wusste, dass er zumindest die Ohren gespitzt hatte.
    »Wenn das Opfer nackt aufgefunden wird, sind sexuelle Motive nicht auszuschließen«, erwiderte sie.
    Wieder seufzte die junge Frau. Hanni konnte am Display zwar kaum etwas erkennen, aber immer wieder hörte sie Geräusche, die sie nicht zuordnen konnte.
    »Am Mittelalterfest ist nichts zwischen Ihnen passiert?«, bohrte Hanni weiter nach.
    »Wie denn? Sie hat nicht in meinem Zelt geschlafen«, antwortete Frau Loidl resignierend.
    Hanni fiel es immer noch schwer, die Anruferin einzuordnen. Sie zeigte kaum Emotionen. Ihr bleiches Gesicht blieb größtenteils regungslos. Entweder war sie schwermütig oder aber kochte vor Wut und konnte diese gut verbergen. Hanni kannte zahlreiche Menschen, die ganz ruhig und gelassen wirkten, wenn sie kurz vor einem Ausbruch standen – im tiefsten Inneren aber brodelte es.
    »Und was wäre geschehen, wenn doch?«, fragte Hanni.
    Frau Loidl dachte kurz nach. »Die Alice, die ich früher

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