Der Narr
eine Person am Burgfest, die den Tatort früher verlassen durfte und uns so entgangen ist«, stellte Remmel fest. Hanni sah ihn fragend an. »Sie war auch die erste Festbesucherin, die wir beide kennengelernt haben und du hast vor fünf Minuten mit ihr gesprochen.«
*
Am Abend saßen Sam und Minsk ausnahmsweise alleine im Wohnzimmer. Muschka, die dreifärbige Katze, lag schnurrend auf dem Schoß des Russen. Die Tage davor war viel gelacht worden, doch an jenem Abend war es ungewöhnlich still im Haus. Minsk schenkte sich und Sam etwas zu trinken ein.
»Leonid, morgen ist dieses Beltainefest. Es wird ernst«, sagte Sam. Er hatte mittlerweile gelernt, dass er für sein eigenes Glück verantwortlich war. Doch immer noch spürte er das erdrückende Gefühl in sich, wenn er nur daran dachte, sich der Gefahr zu stellen. Würde er seinen Instinkten folgen ohne nachzudenken, würde er sich schnellstmöglich auf eine einsame Insel absetzen.
»Du bist noch nicht so weit«, gab Minsk ihm direkt zu verstehen. Er verzog dabei keine Miene.
»Deus est Homo. Das war es doch, was du mich lehren wolltest.«
»Da! Aber dein Kernproblem hast du trotzdem nicht gelöst.«
»Solange meine Unschuld nicht bewiesen ist, bleibe ich in Deckung.«
»Und was hast du vor? Willst du morgen zu dem Fest gehen und dich dort weiter verstecken?«
»Habe ich eine andere Wahl?«
»Wenn du unschuldig bist, was hast du zu befürchten?«
»Gefängnis.«
»Warum? Du bist doch unschuldig.«
Sam konnte es sich nicht erklären. Sicher, es gab Indizien für seine Unschuld. Er hatte auf dem Fest mit Alice kein einziges Wort gesprochen. Je länger er darüber nachdachte, umso paradoxer wurde es für ihn, überhaupt anzunehmen, der Mörder sein zu können. Wie hätte er, betrunken wie er war, die Plattform hinauf und wieder herunter gelangen sollen? Und selbst wenn er dort hinauf gekommen wäre, was hätte es für einen Grund gegeben, danach in die Schenke zurückzukehren, um dort noch eine Runde zu schlafen und dann nach Hause zu marschieren? Warum hatte er immer noch solche Angst?
»Wir werden herausfinden, wovor du wirklich Angst hast«, gab ihm Minsk ernst zu verstehen.
»Was meinst du damit?«, fragte Sam.
»Wundere dich nicht, wenn sich deine Wahrnehmung gleich ein wenig verändert. Ich bin nebenan. Viel Erfolg!«, bemerkte der Professor noch, während er aufstand und sich abwandte.
»Was?«
Sam blieb verdutzt sitzen, nachdem Minsk den Raum verlassen hatte. Der Raum begann, allmählich vor seinen Augen zu verschwimmen. Sam sah plötzlich Gitterstäbe vor sich. Alles um ihn herum erinnerte ihn plötzlich an einen Urlaub in San Francisco. Alcatraz! Er befand sich in einer kleinen leeren Zelle. Die Wände kamen immer näher. Sam wäre am liebsten aufgesprungen und weggerannt, doch mittlerweile war der Raum so klein, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Er würde erdrückt werden!
Panik! Er fühlte den Schweiß auf der Stirn. Was hatte Minsk mit ihm gemacht? Er konnte sich nicht bewegen, doch er musste etwas tun. So sehr er sich auch bemühte, er schaffte es nicht, die immer näher kommenden Wände von sich wegzuschieben. Es gab noch eine letzte Fluchtmöglichkeit. Der Rausch öffnete Pforten. Auch er konnte in diesem Spiel mitspielen: »Scotty, beam mich weg!«
Plötzlich veränderte sich sein Umfeld. Er befand sich auf einmal auf der Burg und sah sich selbst aus der Ferne auf dem Tisch schlafen. In diesem Moment spazierte Muschka durch die Tür: »Hallo Sam!« Natürlich, er redete mit einer Katze, klar! War es das, was Minsk meinte? Die glorreichen Anekdoten, die man einmal seinen Enkelkindern erzählt? »In meinen jungen Jahren habe ich mich einmal mit einer Katze unterhalten und sie hat geantwortet.« Er stellte sich seine Enkelkinder auf seinem Schoß vor, wie sie aufsprangen und seine Kinder in die Klapsmühle einweisen ließen.
»Also gut, Flohbeutel. Was soll das?« Wieso sollte er auch mit einer Katze seine Gefühle besprechen?
Muschka starrte ihn fragend an. »Wir sind in deiner Vergangenheit, du nacktes Trampeltier auf zwei Füssen. Was ist eigentlich los mit dir?«, gab die Katze zickig zurück.
»Aber das habe ich doch schon aufgearbeitet. Ich habe bereits gelernt, dass ich nicht betrunken sein muss, um schlagfertig und mutig zu sein.«
»Wer sagt, dass der Alkohol das Problem ist?«
Sam wollte etwas darauf erwidern, da verschwamm das Bild vor ihm. Er war in seiner Wohnung, bei den Punks, auf der Pyramide und in Nimues
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