Der Narr
Bauern um die siebzig, der die Städter groß anstarrte, als hätte er das erste Mal Leute aus Wien gesehen. Die Stube war voll von Devotionalien an die männliche Dominanz. Neben den üblichen Jagdtrophäen befanden sich auch Bilder des vermeintlichen Schützen. Strenger Blick, Schnauzbart und Hut. Daneben das Bild der Gattin, unter das auch das Motto ›Helfen ist Silber, Aufopferung ist Gold‹ gepasst hätte.
»I woar scho auf, wei I sowieso boid Mühli mölk’n geh’n hätt miassn!«
Der Dialekt des Huaba-Bauern war kaum zu verstehen. Vielleicht lag es wirklich an den wenigen, verbliebenen Zähnen in seinem Mund. Auffällig war aber auch, dass neben seinem halbvollen Bierglas auch noch mehrere gelehrte Krüge standen.
Remmel konnte den Schilderungen einigermaßen gut folgen. Der Huaba-Bauer hatte nicht schlafen können und war deswegen spazieren gegangen. Es folgte von Remmel die übliche Frage: »Wie viel haben Sie denn in jener Nacht getrunken?«
Leider kam auch die übliche Antwort zurück: »Des Übliche hoid!«
Remmel bohrte nach. Der Bauer ließ es sich nicht nehmen, genau aufzuzählen, was er am Vortag gegessen und getrunken hatte. Einen ›Schofskas mit a poa Achterl Wein am Obend‹, dann die ›Rest vom Lebaschädel‹ und ›a Schöberlsupp’n‹. Dann fielen ihm auch noch ein paar Bier ein, mit denen er das ›Kasbrot mit an wachen Oa‹ runtergespült hatte.
Der Huaba-Bauer fuhr fort zu erzählen, wie er mit seinen Haferlschuhen die Straße entlanggetrottet war und auf einmal einen entsetzlichen Schrei gehört hatte.
»Was war das für ein Schrei?«, fragte Remmel, während er seinen Knödel mit Messer und Gabel auseinanderriss. Eine Kunst, die man als Feinschmecker kennen musste. Er hatte es Hanni immer wieder erklärt, auch wenn sie es nicht wissen wollte: Würde man den Knödel nur schneiden, würde sich das Fett am Teller nicht so gut in den Knödelstücken verteilen. Der Huaba-Bauer antwortete nicht, sondern starrte auf Remmels Essen.
»Was für ein Schrei?«, bohrte Remmel nach.
»A Schroa hoid.«
»Mann oder Frau?«
»Fürchterli woa es«, flüsterte der Bauer. Er begann zu zittern. Jeder im Raum wartete gespannt darauf, was er sagen würde. »I sogs eich, da Teifi hot’s ghoid!«, flüsterte der Huaba-Bauer und griff zu seinem Bier. Der Teufel hatte wieder einmal Schuld. Remmel kannte diese Geschichten.
»Und der Teufel hat einfach so geschrien?«, fragte der Chefinspektor. Seine Stimme blieb dabei ruhig und sanft.
»Na!«
»Was jetzt?«
»Jo, I hob scho gheard, dass er a wos gsogt hot.«
»Was hat er denn gesagt, der Teufel?«
»Woart amoi! Loss mi nochdenk’n. Ah, jetzan hob is glei. Woart!«
Remmel versuchte, dem Gedächtnis des Bauern auf die Sprünge zu helfen. Mit einer tiefen Stimme sprach er: »Jetzt gehört deine Seele mir.« Oder: »Komm mit mir!« Als Remmel »Jedermann« keuchte, kam die Erinnerung des Bauern zurück.
»Jetzan waß i‘s. Er hot gschrian: ›So a Schaß!‹ «
»Und wieso sollte der Teufel ›So a Schaß‹ schreien?«
Stille kehrte ein. Die gesamte Dorfgemeinschaft hatte sich mittlerweile um den Bauern versammelt und starrte den Zeugen an, aus dessen Nase mittlerweile eine ›Rotzglocke‹ hing. Als er merkte, dass es nass um seine Oberlippe wurde, zog er den Popel lautstark wieder hoch.
»Vielleicht …«, fragte einer der Anwesenden, »vielleicht ist der Teufel ausgerutscht?«
»Wo?«
»Im Blut der Leiche?«
»Ich weiß es!«, meinte ein junger Mann, der sich als Moosbacher vorstellte. »Er ist sicher versehentlich auf den eigenen Schwanz getreten.«
Jeder im Raum musste lachten, nur der Huaba-Bauer nicht, der immer noch verschreckt bei seinem Bier saß und sich nichts mehr zu sagen traute.
»Der Huaba-Bauer«, murmelte Moosbacher zu Hanni, während sein Blick auffällig auf ihre Brüste gerichtet war, »ist vielleicht ein wenig verrückt, aber sein Gehör ist gut.«
Doch den armen Bauern plagte noch mehr. Ein Leid, das er nur Remmel ins Ohr flüstern wollte, aus Angst davor, wieder Zentrum des Gelächters zu werden.
*
Bereits im Lokal hatte Hanni mithilfe ihres Smartphones den schnellsten Weg zu der Steinpyramide im Waldviertel berechnen lassen, sodass sie – Remmel und sie waren kaum eingestiegen – aufs Gas trat, um Remmel nicht die Gelegenheit zu geben, einen Abstecher in die zweite Schenke vorzuschlagen, um dort den Nachtisch zu bestellen.
»Was hältst du davon?«, fragte sie ihren Kollegen.
»Irgendjemand hat die
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