Der Narr
Leiche schon vor Frau Loidl gesehen oder der Mörder hat ›So a Schaß‹ gerufen«, gab Remmel nachdenklich zurück. »Wir brauchen eine Audioprobe von jedem Verdächtigen. Zu der kommen wir leicht. Wir führen sie beim Verhör einfach durch die Wiener Innenstadt. Nur eine Frage der Zeit bis sie in ein Hundstrümmerl treten.«
»Was hat er dir ins Ohr geflüstert?«, frage Hanni.
In diesem Moment klingelte das Handy – Bulli war am anderen Ende der Leitung und Hanni erstattete ihm einen kurzen Bericht. Als sie auflegte, war Remmel bereit für sein Verdauungsschläfchen. Sie stupste ihn mit ihrem Ellbogen in die Rippen.
»Was hat er dir ins Ohr geflüstert?«, wiederholte sie.
»Er glaubt, den Teufel auch gesehen zu haben. Etwa eine halbe Stunde nach dem Schrei wäre er fast mit einem jungen Mann zusammengestoßen, der den Weg von der Burg heruntergetorkelt kam. Sein T-Shirt war blutverschmiert und er stimmte einen seltsamen Gesang an. Auf der Toilette hat mir der Huaba-Bauer die Melodie vorgesummt. Es hörte sich nach der Titelmelodie aus der alten ›Raumschiff Enterprise‹-Serie an. Die Personenbeschreibung des Bauern deutet auf unseren unbekannten deutschen Studenten hin.«
»Ich ruf Wimmer an.«
»Lass das! Wimmer soll ausführen, was ich ihm aufgetragen habe. Er soll nach Hagenberg fahren und den Verdächtigen ausfindig machen. Die Information, dass der Student mit Blut am T-Shirt gesehen wurde, könnte die Kollegen ablenken. Schremser will dann sicher den Helden spielen.«
In diesem Moment spürte Hanni das Vibrieren ihres Handys in der Handtasche. Dieses Mal wollte der Chef mit Remmel sprechen. Ihr Kollege hörte ihm geduldig zu, sagte ein paar Mal »ja« und konnte sich ein Grinsen nicht verbergen, als er auflegte.
»Und?«
»Wir sollen jemanden besuchen, der auf dem Weg liegt. Jemand, der uns vielleicht etwas über die Kultgegenstände sagen kann.«
»Und warum grinst du so dabei?«
»Über diese Person habe ich schon einiges in verschiedenen Polizeiakten gelesen. Jetzt wird es spannend!«
*
Dr. Heisenstein zitterte. Nachdem er die Tür zu seiner Prachtvilla am Römerberg hinter sich geschlossen hatte, wollte er seine Zutrittskarte für die Wohnung, wie jeden Abend, in die Schale legen. Sie war aus edelstem Porzellan, ein kleines Mitbringsel von ihrer ›Abenteuerreise‹. Als hätte sie die liebevollen Worte erst ein paar Stunden davor gesagt: »Bin wieder da, Papa. Ich werde dich nie wieder verlassen.«
Die Porzellanschale wurde zu dem Symbol, dass Vater und Tochter nach jedem Zwist wieder zusammenfinden konnten. Das Geschenk blieb eine lebendige Erinnerung an sie. Jeden Morgen erinnerte ihn diese Schale an ihr Lächeln. Sie war da, wenn er morgens das Haus verließ und wenn er spät abends zurückkam.
Er nahm das Porzellan in die Hand. Solange er in seinem majestätischen Büro mit Wandvertäfelungen aus Zedernholz oder in einem der zahlreichen Meetingräume verweilte, war er sicher. Der unbändige Wunsch, zu gewinnen, seine Macht auszubauen und die nächsten Konkurrenten zu überwinden, überlagerte alles. Doch Zuhause war er alleine.
Tränen in seinen Augen ließen die feinen, chinesischen Schriftzeichen verschwimmen. Im Zentrum der Schale war eine Figur abgebildet, ein kleines Mädchen, das um die Sonne tanzte. Alles war vorbei. Die ewige Nacht war angebrochen. Er schleuderte die Schüssel gegen die Wand, wo sie mit einem Klirren in unzählige Einzelteile zerbrach.
Er holte tief Luft und wandte jede Technik an, die er kannte, um seine Gefühle zu neutralisieren. Jemand, der mit feinsten, italienischen Maßanzügen gekleidet war und mit all seinem Prunk weit über den normalsterblichen Bürgern stand, durfte die Beherrschung auch in einer derartigen Situation nicht verlieren. Keine positive Erinnerung war stark genug, die Trauer zu mildern. All das Schöne war mit ihr verbunden. Doch etwas war stärker als die Trauer: sein Verlangen nach Rache.
Er eilte in sein Schlafzimmer und holte sie aus dem Mahagoni-Nachtkästchen hervor. Sie war laut, groß und absolut tödlich. Sollte es je ein Einbrecher bis in seine Wohnung schaffen, sollten auch die Nachbarn wissen, dass Dr. Heisenstein solche Probleme eigenhändig löste. Oft hatte er sich vorgestellt, wie der Kopf eines ungebetenen Gastes aussehen müsste, wenn er ihn mit einem Einschussloch verzierte. Ein Gutteil des Hirns würde sich wahrscheinlich auf seiner teuren Einrichtung verteilen. Sie war laut, groß, und absolut tödlich:
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