Der Narr
Heisenstein. Endlich hatte er die Rechtfertigung gefunden, die er gesucht hatte. »Wenn sie sterben, dann bekommen sie ihre Strafe, weil sie meiner Tochter nicht geholfen haben.« Niemand könnte ihm jetzt noch vorwerfen, kein Gewissen zu haben. Es war an der Zeit, den Pitbull loszulassen. »Nimm den Dienstwagen. Es wird nicht auffallen, wenn du ein paar Tage weg bist, da ich mir ein paar Tage frei genommen habe. Den Zielort habe ich ins Navi eingegeben, während du heute tanken warst.«
Was der Pitbull natürlich nicht wusste, war, dass Heisenstein dabei auch den Brief im Auto versteckt hatte, mit dem er sich freispielen wollte. Er sah seinem neuen Freund noch kurz nach, als dieser die Straße hinuntereilte. Immer wieder wurde im Polizeiakt auf seine unbeschreibliche Brutalität hingewiesen. Zwei der Angestellten, die beim Raub vor zehn Jahren dabei waren, hatten sogar bleibende Schäden von seiner Prügel davongetragen. Die Würfel waren gefallen. Nun gab es kein Zurück mehr.
*
Vom Met beschwingt, war alles auf einmal ein Kinderspiel. Der ›Denker in Sam‹, der alles stets abwog, ob etwas gut oder schlecht war, er etwas tun oder sein lassen sollte, zwischen ja und nein schwankte und sich nie entscheiden konnte, war verschwunden. Was sollte das komplizierte Gerede um den heißen Brei? Einfach beschwingt dahintänzeln und reden! Lächeln, quatschen, manchmal vielleicht auch ein wenig provozieren und improvisieren. Wieso vergaßen intelligente Menschen immer wieder, wie einfach im Grunde alles mit der entsprechend lockeren Einstellung sein konnte.
Endlich hatte er auch jemanden auf seiner Wellenlänge gefunden. Gisi entsprach ganz und gar nicht dem Klischee der Wissenschaftlerin, die mit Brille, Dutt und nachdenklichem Gesicht zu mehr Rationalität mahnte. Stattdessen glaubte Sam, als Computerspieler endlich ein Rätsel gelöst zu haben, das fast jeden Tolkien-Fan und Rollenspieler zumindest einmal im Leben geplagt hatte: Das Bild von männlichen Zwergen war seit Gimli im ›Herr der Ringe‹ hinreichend geklärt. 1.50 bis 1.60 Meter hoch, Knollennase, Bart, Kettenhemd und oft ein wenig pummelig. Über Gisi ließ sich das Mysterium über das Aussehen der Zwergenfrau klären – sie hätte einen Platz auf der Titelseite eines ›Fantasy Time Magazines‹ verdient: Rundes Gesicht, Pausbacken, große Nase und dazu stämmige Arme und Beine. Das Graben lag ihr vermutlich im Blut.
»Ich hoffe, du hältst uns wegen Ceallach und Nimue nicht für verrückt«, hatte sie zu ihm gesagt. »Als Wissenschaftlerin ist es meine Pflicht, …« - Diese anfänglichen Worte reichten aus, dass sie ihm auf Anhieb sympathisch war.
Ihre Ansprache wurde leider jäh unterbrochen. Plötzlich wurde die angenehme Abendstimmung durch Geschrei gestört. Ceallach und Nimue brüllten einander an.
»Besser, du mischst dich da nicht ein«, sagte Gisi und hielt Sam zurück, als er aufstehen wollte. Kurz darauf stapfte Ceallach wie ein trotziges Kind mit verschränkten Armen an ihnen vorbei. Er trat gegen ein paar herumliegende Gegenstände und ging dann weiter in den Wald.
»Ich möchte wissen, was da los ist.«
Gisi schüttelte den Kopf. »Lass ihn! Private Probleme haben Ceallach die letzten Monate komplett aus der Bahn geworfen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er betrunken ausrastet. Wie stehst du zu Nimue? Seid ihr euch nahe?«
Sam schüttelte den Kopf und wehrte die Aussage vehement mit beiden Armen ab, so als wollte er sich damit auch Nimue vom Hals halten.
»Sei bei ihnen vorsichtig, Sam! Ceallach und Nimue leben in einer Traumwelt.« Sie richtete sich auf. »Mit Argumenten kommst du bei den beiden nicht durch. Sie wollen nicht verstehen.«
»Was meinst du damit?«
»Nimue bezeichnet mich als Verräterin, weil ich auch wissenschaftliche Fakten beachte, wie etwa, dass die Frau in den keltischen Sozialstrukturen nicht so einen hohen Status hatte, wie sie es gerne hätte. Es ist zum Verzweifeln. Sie erklärt jedes noch so kleine Indiz, das auch nur irgendwie zu ihrer Traumwelt passt, zur absoluten Wahrheit. Gegenargumente, selbst wenn sie als erwiesen gelten, akzeptiert sie nicht. Sklaven? Frei erfunden! Menschenopfer? Römische Propaganda! Ketten, die gefunden wurden? Falsch interpretierte Funde, weil Kriegsgefangene. Selbst bei den Moorleichen kommt sie mit dem Argument, dass es auch heute noch Länder mit der Todesstrafe gibt.«
Mit seinen Fragen hatte Sam schließlich bewirkt, dass Gisi doch redselig wurde. Sie erzählte,
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