Der nasse Fisch
längst durch!«
»Du hast ja Recht«, sagte Bruno. »Das hat schon einmal einen unnützen Streit heraufbeschworen, das müssen wir nicht wiederholen.«
»Nein, das müssen wir nicht.« Rath ließ den Lichtkegel wieder auf den Boden schwenken, und sie gingen weiter. »Du weißt, dass
ich gern in die Mordinspektion möchte. Und früher oder später werde ich meine Chance nutzen. Ich spiele mit offenen Karten.«
Sie hatten den Hinterhof in der Motzstraße erreicht und verabschiedeten sich von dem Blauen am Haupteingang der Pille. In der Hofeinfahrt blieb Wolter unter dem dunklen Torbogen stehen, bevor sie wieder auf die Straße traten. Er legte Rath
die Hand auf die Schulter.
»Machen wir uns nichts vor«, sagte er. »Wie es aussieht, war dieAktion Nachtfalke vorerst unser letzter gemeinsamer Einsatz fürs Sittendezernat. Wenn ich Lankes Anruf richtig verstanden habe, wirst du nächste
Woche auf Gastspielreise in die Mordinspektion gehen.«
Rath schaute ihn an, konnte aber seine Augen im Schatten nicht erkennen.
»Wenn das so wäre, hätte ich doch längst was hören müssen«, beschwichtigte er den Kollegen. »Mich hat noch kein Mensch informiert.«
»Informieren? Das ist auch nicht unbedingt nötig.« Wolter lachte und imitierte einen schnarrenden Kasernenhofton: »Du hast
zu tun, was dir deine Vorgesetzten sagen, kapiert?«
»Mitten in unseren Ermittlungen das Dezernat wechseln? So ein Blödsinn.«
»Blödsinn?« Der Onkel zuckte die Achseln. »Da könntest du Recht haben. Aber glaub mir, so was hat in der Burg noch niemanden
gestört. Wenn Gennat Leute braucht, dann bekommt er die.«
Die Uhr im großen Konferenzsaal des Polizeipräsidiums zeigte halb eins, und es herrschte ein Rummel wie im Wartesaal des Anhalter
Bahnhofs; ein Eindruck, den das Durcheinander unzähliger Stimmen noch verstärkte. Sämtliche Lampen brannten und tauchten den
Saal in taghelles Licht, das die dunkle Nacht draußen in Vergessenheit geraten ließ. Alles war an die Wand gerückt – nur acht
Tische standen fein säuberlich in einer Reihe, ein jeder mit zwei Kriminalbeamten besetzt, einem von der Inspektion I, dem
Erkennungsdienst, meist einfach nur ED genannt, und einer von der Inspektion E, unter deren Federführung die Aktion lief.
An jedem Tisch standen die Wartenden in langen Schlangen, bewacht von einigen Schupos. Nachtschwärmer aus neun illegalen Kellerlokalen,
die in den vergangenen Stunden Besuch von der Polizei erhalten hatten. Da standen Männer, die noch die Kellnerschürze umgebunden
hatten, neben Gigolos in eleganter Abendgarderobe, zwielichtige Typen in auffällig teuren Anzügen neben seriösen Herren, die
ihrem Aussehen nach mindestens Geheimrat oder Generaldirektor seinmussten. Noch bunter sahen die Warteschlangen aus, die sich vor den beiden Tischen gebildet hatten, die mit Beamtinnen der
Inspektion G besetzt waren, der Weiblichen Kriminalpolizei. Dort stand Jung neben Alt, Schwarz neben Weiß, einige Mädchen
sahen so jung aus, als seien sie noch minderjährig. In einer Reihe langweilten sich Damen, die nichts anderes trugen als preußische
Uniformjacken aus den vergangenen zwei Jahrhunderten, das musste die Truppe aus dem Pegasus sein. Viele waren spärlich bekleidet und hatten sich nur notdürftig etwas überziehen können, manchmal nicht mehr als einen
Herrenmantel. Nicht immer mit dem Einverständnis des Besitzers: Wenn einer der Bestohlenen sein gutes Stück am Körper der
Frau entdeckte, mit der er es sich vor wenigen Stunden noch gemütlich gemacht hatte, hagelte es lautes Protestgeschrei.
Rath beobachtete das Treiben. Gerade erst waren sie in der Burg angekommen. Bruno und der Frischling waren mit Johnny, dem
überrumpelten Türsteher der Pille , noch im Vernehmungsraum. Johnny wollten sie sich heute noch vornehmen, der war reif. Rath wusste, dass der Mann auspacken
würde. Vor allem, wenn er erfuhr, dass er sonst nicht zu seinen Kumpels in die Zelle durfte. Und wenn er da nicht erschien,
würde ihn das verdächtiger machen als alles andere.
Die Zellen füllten sich nur langsam, der größte Teil ihres Fangs befand sich noch im Konferenzsaal. Was wie Chaos wirkte,
hatte durchaus System: War einer in der Schlange ganz vorn angelangt, folgte immer die gleiche Prozedur: Ausweispapiere vorlegen,
Leibesvisitation, ein paar Fragen. Wer sich als unbescholtener Bürger ausweisen konnte und nicht in den Akten des Erkennungsdienstes
vermerkt war, wer keine
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