Der nasse Fisch
Als nettes Detail stand noch ein Bismarck-Porträt auf dem Nachttisch. Unverkennbar
die Handschrift von Johann König, diesmal in bewegten Bildern. Rath ging zu der Organistin hinüber, deren Augen ganz auf den
Film konzentriert waren, und tippte ihr leicht auf die Schulter. Sie erschrak, hörte aber erst auf zu spielen, als er den
Zeigefinger an die Lippe führte.
Mit dem Verstummen der Orgel war für einen kurzen Moment nur vereinzeltes Stöhnen und das Surren des Projektors zu hören,
dann erstarben auch die Stöhngeräusche, bevor das Aufleuchten von Raths Taschenlampe den Startschuss zu einem vorübergehenden
Tumult gab. Frauen, die offensichtlich in den Tiefen der Kinositze gehockt hatten, sprangen auf und zupften sich die Kleidung
zurecht. Sie sahen weniger erschrocken aus als die Männer im Saal, deren Gesichter der Kegel der Taschenlampe in ein bizarres
Licht tauchte. Ein korpulenter älterer Herr, dem die durch den Film und die Dienste einer jungen Frau hervorgerufene Erregung
noch anzusehen war, zog eilig seine Hosen hoch. Die anderen Männer im Raum, rund zwei Dutzend, waren mit ähnlichen Dingen
beschäftigt, mit Damen oder allein.
»Dies ist ein Polizeieinsatz, meine Herren«, sagte Rath. »Ich darf Sie bitten, sich den Ordnungskräften zur Verfügung zu halten.«
»Unverschämtheit«, brummte der Dicke, der sich eben noch die Hosen über seine Erektion gezogen hatte, »das wird noch Folgen
haben, junger Mann! Das können Sie mit mir nicht machen!«
»Ich kann«, sagte Rath und wandte sich den Schupos zu. »Den geilen Fettsack hier sperrt ihr auf jeden Fall in eine Zelle!«
Der Dicke wollte protestieren, doch zwei Uniformierte hatten ihn schon in ihre Mitte genommen und führten ihn nach draußen.
»Das werden Sie noch bereuen, das verspreche ich Ihnen«, hörte er den Dicken noch draußen toben, »ich bin ein Bekannter des
Innenministers! Ein Skandal ist das!«
»Sie sagen es«, rief Rath ihm hinterher.
Nicht der erste Mann mit angeblich prominenten Freunden,der ihnen heute Abend in die Hände gefallen war. Wer wirklich über Verbindungen bis in Regierungs- oder ähnliche Kreise verfügte,
das würden sie spätestens nächste Woche erfahren, wenn die entsprechenden Proteste den Polizeipräsidenten erreicht hatten.
Doch Rath bezweifelte, dass da viel kommen würde. Die meisten, selbst wenn sie wirklich über Einfluss verfügten, würden sich
lieber mit einer Nacht im Polizeigewahrsam am Alex zufrieden geben, über die sie nicht weiter sprachen, als zuzugeben, dass
sie sich in illegalen, zwielichtigen Nachtclubs herumgetrieben hatten.
Es dauerte keine halbe Stunde, und alle waren versandfertig, Besucher wie Angestellte. Rath sah den beiden Lastwagen hinterher,
die von der Motzstraße zum Alex rollten. Der grüne Opel parkte noch am Straßenrand. Aus dem hinteren Seitenfenster schaute
der Türsteher, Johnny, wie ihn die Transe genannt hatte. Laut Ausweis trug er den biederen Namen Wilfried Johnen. Rath hatte
das Gefühl, der Mann sei im Verlauf der letzten halben Stunde noch bleicher geworden. Kein Wunder, Johnny hatte jeden Augenblick
damit rechnen müssen, dass mit all dem bunten Volk, das da auf die Lastwagen verfrachtet wurde, auch seine Arbeitgeber an
ihm vorbeispazierten. Nicht gut, dann in einem Bullenwagen zu sitzen. Wahrscheinlich hatte Johnny Glück gehabt, die meisten
Offiziellen dürften in der Kleiststraße auf die Reise zum Alex warten.
Stephan Jänicke saß mit einem derart eingefrorenen Gesicht auf der Rückbank, wie es wohl nur Ostpreußen zustande bekamen.
Nicht die kleinste Gemütsregung war ihm anzusehen. Rath wusste, dass der Frischling in der vergangenen halben Stunde kein
Wort mit dem Türsteher gewechselt hatte. So etwas brachten nicht einmal die Ostwestfalen fertig, mit denen Rath in Köln zusammengearbeitet
hatte. Jänicke war genau der richtige Mann für so einen Job, nichts machte einen Ganoven dieses Kalibers nervöser als ein
Bulle, der kein Wort sprach. Wilfried Johnny Johnen würde weichgekocht sein, bevor er das Präsidium überhaupt erreicht hatte.
Wolter zeigte auf seine Armbanduhr und hielt fünf Finger in die Höhe, Jänicke nickte. Rath folgte dem Onkel in die Katakomben
der Pille , vor der noch ein einsamer Schupo Wache schob. Mit erhobenen Dienstausweisen traten sie an der anderen Seite aus dem Keller,
doch der Hof war leer. Der Motor des Lastwagens in der Kleiststraße lief bereits, obwohl die
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