Der nasse Fisch
Narbengesicht
und sein vierschrötiger Freund. Rath hätte eher geglaubt, den beiden im Kakadu noch einmal über den Weg zu laufen, als ausgerechnet in der Burg. Das Narbengesicht war gerade an der Reihe und legte seinen
gelben Ausweis auf den Tisch. Das erinnerte Rath an die Papiere, die er dem Kokainhändler im Café Berlin abgenommen hatte. Wurde Zeit, die im Fundbüro abzugeben.
Er spürte, wie mit der Erinnerung an jenen Abend auch seine Neugier wieder wach wurde. Diese beiden Russen hatten ihm damals
unmissverständlich gedroht. Zwei Wachhunde, die ihren Landsmann vor der deutschen Polizei abschirmten? Jedenfalls waren sie
näher dran an Kardakow als alle anderen, mit denen er bislang zu tun gehabt hatte, das spürte er. Vielleicht gehörten sie
ja alle zu diesem ominösen politischen Geheimbund. Während er mit Bruno zu einer der weiblichen Warteschlangen ging, achtete
er darauf, den Russen das Gesicht nach Möglichkeit nicht direkt zuzuwenden. Die mussten ihn hier nicht vor aller Augen erkennen.
Immer wieder schaute er aus den Augenwinkeln hinüber, während Wolter mit einer Kommissarin von der Inspektion G sprach, und
bemerkte schnell, dass er sich keine große Mühe geben musste – weil die Russen ihrerseits wegschauten, etwas zu auffällig
wegschauten, als dass sie ihn nicht bemerkt haben konnten. Umso besser, dachte Rath, die beiden scheinen auch nicht wild darauf
zu sein, wieder mit dir aneinanderzugeraten.
Der Beamte vom ED prüfte den Pass des Narbengesichts genau, trug die Personalien in seine Liste ein und blätterte im Verbrecheralbum,
während der Kollege von der Sitte den Mann durchsuchte, in alle Taschen fasste und ihn von oben bis unten gründlich abtastete.
Er schüttelte den Kopf, als er fertig war. Negativ. Der ED-Mann allerdings schien etwas in der Akte gefunden zu haben und
machte eine längere Notiz. Nach Hause gehen durfte der Russe jedenfalls nicht, er wurde abgeführt. Seinem Freund erging es
ebenso. Beide trugen ihr Schicksal mit stoischer Gelassenheit. Eine Nacht hinter Gittern schien für sie nichts Erschreckendes
zu haben.
Als Rath und Wolter den Tisch erreichten, waren die Russen längst unterwegs in den Zellentrakt. Der Onkel duzte den Sittenbeamten,
Rath kannte ihn nur flüchtig. Während Wolter mit dem Kollegen sprach, schaute Rath dem ED-Beamten unauffällig über die Schulter.
Sauklaue. Die beiden Namen auf der Liste waren gar nicht so einfach zu entziffern. Nikita I. Fallin glaubte Rath zu lesen. Das musste das Narbengesicht sein. Und darunter stand ein Name, den er als Vitali P. Selenskij oder Gelenskij las. Beide waren sie in der Bar Noir aufgegriffen worden, einem kleinen Laden in der Nähe des Winterfeldplatzes. Die Razzia war parallel zu der in der Pille gelaufen. Die Notizen in der Spalte Bemerkungen konnte Rath unmöglich lesen, ebenso wenig die Adressen. Was soll’s, dachte
er und wandte den Blick von der Liste. Bruno schielte schon herüber und schien sich über die Neugier des Kollegen zu wundern.
Rath ließ seinen Blick wieder über das Durcheinander im Konferenzsaal schweifen und schaute sich um. Jetzt fehlte nur noch,
dass er gleich auch noch Kardakow in einer der Warteschlangen entdeckte. Mittlerweile hielt er alles für möglich, das Schicksal
hatte manchmal einen seltsamen Sinn für Humor. Doch statt des verschwundenen Russen erspähte er einen anderen guten Bekannten.
Der Mann schlenderte gelassen durch die Reihen, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. In seiner Abendgarderobe unterschied
er sich kaum von den besser gekleideten Nachtschwärmern, nur wegen seines aufmerksamen Fuchsgesichts und des leicht gebeugten
Gangs war er Rath aufgefallen, ein gebeugter Gang, der dem Mann den Spitznamen der krumme Lanke eingebracht hatte. Kein Zweifel, Kriminalrat Werner Lanke, der Chef der Inspektion E, nahm höchstpersönlich die Parade ab
und hatte dafür offensichtlich sogar seine Wochenendvergnügungen abgebrochen.
Rath stieß Wolter an und deutete verstohlen auf den Chef. »Jetzt wundert mich auch nicht mehr, dass wir Lanke nicht in einem
der Bumslokale erwischt haben«, flüsterte er, »der wusste Bescheid.«
»Tja, da hab ich mich wohl verplappert. Kann passieren, wenn der Chef einen zu Hause anruft.«
Als Lanke sie entdeckte, kroch ein Lächeln auf sein Gesicht, under unterbrach sein Schlendern, um Kurs auf die beiden Sittenkommissare zu nehmen. Rath fühlte sich unbehaglich. Unangenehm,
diesen Mann
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