Der nasse Fisch
Gefangenenwärter amanderen Ende der Leitung aber nicht aus der Ruhe brachte. Rath hörte Papier rascheln, als der Mann in seinen Unterlagen blätterte.
»Nikita Iwanowitsch Fallin ist heute Morgen entlassen worden«, sagte der Wärter. »Zusammen mit einem anderen Russen …« Wieder
raschelte es. »… Vitali Pjotrewitsch Selenskij.«
»Der auch?« Jetzt brüllte Rath wirklich. »Wer zum Teufel hat denn das veranlasst?«
»Der Polizeipräsident.«
»Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Dörr…, dass Herr Zörgiebel persönlich bei Ihnen reinspaziert und Gefangene auf freien
Fuß setzt?«
»Natürlich nicht. Seine Unterschrift und sein Stempel reichen, um das zu veranlassen.«
»Und wer hat Ihnen die Entlassungspapiere gebracht?«
»Die lagen heute Morgen im Posteingang. Wie meistens in solchen Fällen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Spezialbehandlung. Sie arbeiten wohl noch nicht so lange bei uns, was?«
»Ich weiß nur, dass zwei wichtige Zeugen verschwunden sind!« Rath wurde wieder lauter. Ignorantes Preußenpack!
»Nun regen Sie sich mal nicht so auf. Sie haben ja die Adresse. Können Sie die Zeugen doch zu Hause besuchen. So machen Ihre
Kollegen das normalerweise.«
Rath knallte den Hörer auf die Gabel, bevor er dazu kam, den Tatbestand der Beamtenbeleidigung zu erfüllen.
Wutschnaubend stürmte er aus dem Vernehmungsraum. Der Onkel unterhielt sich gerade mit einem Mann, dessen Frack und Zylinder
von der Nacht im Polizeigewahrsam reichlich mitgenommen aussahen. Beide schauten überrascht auf, als Rath durch die Tür stürmte
und erst vor Wolters Schreibtisch haltmachte.
»Kannst du kurz unterbrechen?«, fragte Rath.
Wolter befahl dem Uniformierten draußen auf dem Gang, ein Auge auf den Frackträger zu werfen, und ging mit Rath nach draußen. Der Onkel zog ihn in eine Nische, die zum Lichthof führte.
»Bist du noch bei Trost?«, zischte er, als sie unter sich waren. »Du kannst doch nicht einfach so in mein Büro stürmen und
ein Verhör unterbrechen.«
»Das ist immer noch unser Büro.«
»Lass deine Spitzfindigkeiten! Ich hoffe, du hast eine wichtige Nachricht.«
»Entschuldige. Aber es ist kaum zu glauben, was hier in diesem Haus passiert!«
»Nun beruhige dich erst mal!«
Rath erzählte, was geschehen war.
»Spezialbehandlung, sagst du?« Wolter lachte. »Dann hast du wohl Pech gehabt!«
Rath verstand nicht ganz.
»Da hat einer seine Achtgroschenjungs rausgehauen. Die beiden Männer waren wohl die Spitzel eines Kollegen. Das ist so üblich,
wir wollen ja nicht, dass unsere Informanten im Knast sitzen, da nützen sie uns nicht viel. Deswegen hat man wohl dafür gesorgt,
dass sie wieder rauskommen.«
»Aber wer?«
Wolter zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Politische Polizei, Kripo. Jeder kann es gewesen sein.«
»Aber das wird man ja wohl nachverfolgen können. Wenn ich den Banausen erwische, der die Typen wieder rauslässt, die ich eingesperrt
habe, dann kann er sich warm anziehen!«
Wolter schüttelte den Kopf. »Nachverfolgen? Da wirst du wohl auf Granit beißen. Die Kollegen lassen sich in Sachen Informanten
nicht so gern in die Karten gucken. Normalerweise reicht ein vertrauliches Schreiben an den Polizeipräsidenten, der stellt
die entsprechenden Entlassungspapiere aus, und fertig.«
»Zörgiebel ist doch heute überhaupt nicht im Dienst.«
»Der Polizeipräsident ist immer im Dienst, merk dir das. Auch am Wochenende bekommt er jeden Morgen die dringlichsten Papiere
in seine Dienstwohnung geliefert, die unterschreibt er dann beim Frühstück.«
»Beim Frühstück lässt der PP die Leute wieder frei, die wir in der Nacht mühsam eingefangen haben?«
»Komm, nun mach mal halblang. Da sind ja keine Verbrecher freigelassen worden. Wir haben Leute, die im falschen Lokal waren,
für eine Nacht festgehalten. Länger als vierundzwanzig Stunden dürfen wir das sowieso nicht ohne Haftbefehl.«
»Die waren nicht mal zehn Stunden eingesperrt. Aus gutem Grund haben wir die gestern Abend noch nicht nach Hause gehen lassen.
Die sind vorbestraft! Alle beide!«
»Wenn du glaubst, dass du einer großen Sache auf der Spur bist, kannst du sie ja zu Hause besuchen.«
»Genau das haben sie mir im Polizeigefängnis auch gesagt.«
»Na siehst du.«
»Ich verstehe das immer noch nicht. Und warum hat der Kollege seine Informanten nicht einfach vor der Razzia gewarnt? Stattdessen
so eine krumme Nummer.« Rath musste daran denken, wie er Krajewski vor
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