Der nasse Fisch
Schürhaken in die Asche, dass es staubte, und stand auf.
»Wollen der Herr etwa auch ein Bad nehmen und sich beschweren, dass der Ofen nicht gereinigt ist?«
Also deswegen hatte es heute Morgen Streit gegeben. Rath konnte sich nicht vorstellen, dass Weinert den gesucht hatte.
»Aber Elisabeth …«, setzte er an.
»Komm mir nicht mit Elisabeth!« Sie war ernsthaft wütend. »Kannst du mir mal sagen, was diese Sauerei hier soll?«
Er verstand immer noch nicht, was sie meinte. Sie hockte sich wieder vor den Ofen, stocherte wütend mit dem Haken herum undzog schließlich einen langen, nur halb verbrannten Stoffstreifen hervor. Rath erschrak. Der letzte Rest seines Anzugs!
»Kannst du mir mal verraten, warum du Putzlappen in den Badeofen steckst? Und sag mir nicht, du wärst es nicht gewesen! Weinert
hat den Badeofen wegen diesem Mist heute Morgen nicht anbekommen und ist stinksauer und ungebadet in die Redaktion gefahren.
Aber so was ist dir ja egal! Ihr kümmert euch um gar nischt, da ist ja die olle Behnke, die immer die Drecksarbeit macht!«
»Tut mir leid.« Er bedauerte es tatsächlich. Warum hatte er gestern nicht genauer in den Ofen geschaut? »Komm, lass mal, ich
mach das schon weg.«
Er streckte seine Hand nach dem Stoff aus. Plötzlich fing sie an zu schluchzen und hielt sich ihre rußgeschwärzten Hände vors
Gesicht. Der Anzugfetzen fiel zu Boden. Er merkte, dass es ihr peinlich war, in seiner Gegenwart zu weinen. Am liebsten hätte
er sie in den Arm genommen und beruhigt, aber das wäre so ziemlich das Falscheste gewesen, was er in dieser Situation hätte
tun können. Hilflos stand er neben ihr.
»Elisabeth, ist doch schon gut. Ich hab nicht nachgedacht, der alte Lappen musste weg und …«
Sie stand auf und sah ihn aus verweinten und schwarzverschmierten Augen an.
»Warum kannst du nicht einfach ein Arschloch sein?«, sagte sie und verschwand durch die Tür.
Er sah auf die Sauerei vor dem Badeofen und seufzte. Dann begann er sauber zu machen.
Er war früher als sonst in der Burg, noch niemand im Büro, er hatte die Zeit genutzt, die Listen in Ruhe zu studieren. Tatsächlich
waren ihnen auch einige der Frauen in die Fänge geraten, deren Redseligkeit sie die Aktion Nachtfalke überhaupt erst zu verdanken hatten. Kreisch-Sylvie etwa hatten sie in der Bar Noir aufgegriffen, die rote Sophie im Blauen Holunder . Die Damen fühlten sich nach ihrer Entlassung aus dem Polizeigewahrsam vor einer Woche offensichtlichschon so sicher, dass sie ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten. Rath hätte darauf wetten können, dass sie auch für pornographische
Aufnahmen bereits wieder Modell standen – beziehungsweise lagen. Nur nicht im Atelier von Johann König, denn der saß noch
in Moabit in Untersuchungshaft.
Kreisch-Sylvie hatte Rath erst einmal angespuckt, als sie ihn wiedererkannte. Er hatte sich die Truppe aus der Bar Noir vorgenommen. Nicht weil er auf ein Wiedersehen mit Sylvia Walkowski großen Wert gelegt hätte. Aber auf der Liste standen
zwei Namen, die seine Neugier geweckt hatten, seit er sie gestern Abend zum ersten Mal gelesen hatte.
Nikita Iwanowitsch Fallin und Vitali Pjotrewitsch Selenskij, so hießen sie mit vollem Namen. Aufschlussreicher waren die Bemerkungen,
die der ED den Personalien gestern hinzugefügt hatte: Fallin, der Erste in der Liste, also das Narbengesicht, war im Februar
1926 wegen schwerer Körperverletzung aufgefallen. In die Spalte darunter, hinter Selenskijs Namen, hatte der Beamte nur dito zu schreiben brauchen. Damals schon waren die beiden also unzertrennlich gewesen. Und zögerten offensichtlich nicht, ihre
Muskelkraft auch einmal einzusetzen.
Er hatte sich eine Stenotypistin und einen Vernehmungsraum besorgt und ließ sich die Kunden in der Reihenfolge vorführen,
wie sie auf der Liste vermerkt waren. Sein besonderes Interesse an den Russen wollte er niemandem auf die Nase binden. Rath
musste sich durch eine ganze Parade mehr oder weniger vorlauter Kleinganoven und mehr oder weniger unschuldiger Familienväter
arbeiten und sich von Kreisch-Sylvie anspucken lassen, bis die Liste endlich bis zu den beiden Männern abgehakt war.
Endlich.
Als er jedoch mit einem Beamten im Zellentrakt telefonierte, um sich den ersten Russen in den Vernehmungsraum schicken zu
lassen, erlebte er eine Überraschung. Zuerst glaubte er, sich verhört zu haben.
»Was soll das heißen: Ist nicht mehr da ?«
Er brüllte fast in den Hörer, was den
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