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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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vier kleine Steinchen. Also doch: Jemand hatte versucht, ihn zu wecken. Er öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus.
    Rath hörte, wie sich die schwere Haustüre öffnete. Dann ein kurzer, spitzer Schrei.
    »Huch, was lungern Sie denn hier rum wie’n Schluck Wasser inner Kurve?«, fragte eine Frauenstimme. Dann sah er, wie ein junges
     Mädchen, vielleicht Anfang zwanzig, auf die Straße und in sein Blickfeld trat. Sie schaute im Gehen über die Schulter und
     entfernte sich eilig in Richtung Taxistand. Hatte Weinert also wieder Damenbesuch gehabt! Rath musste schmunzeln. Wenn das
     Elisabeth Behnke wüsste! Die Zimmerwirtin achtete streng darauf, dass ihre Mieter zu später Stunde keine Damen empfingen.
     Und der findige Weinert hatte beinah jeden Abend eine zu Gast, ohne dass die Behnke ihm bislang auf die Schliche gekommen
     wäre. Doch auf wen war Weinerts aktuelle Errungenschaft da unten vor der Haustür gestoßen? Wer hatte sie so erschreckt?
    Noch während er überlegte, hörte er die schwere Haustür ins Schloss fallen. Kurz darauf zog jemand die Türglocke. Um diese
     Uhrzeit dröhnte sie so laut wie eine Kirchenglocke. Dann hörte Rath es gegen die Wohnungstür wummern. Wer das auch sein mochte,
     er sollte nicht so einen Lärm machen! Rath trat aus seinem Zimmer auf den großen Flur. Die Tür, die zu den Räumen seiner Zimmerwirtin
     führte, war geschlossen. Er hoffte inständig, die Behnke möge weiter den Schlaf der Gerechten schlafen, bis er das Problem
     hier gelöst hatte. Weinert ließ sich auch nicht blicken. Wahrscheinlich das schlechte Gewissen.
    Da polterte es wieder gegen die Tür.
    »Kardakow« , rief eine fremde, dunkle Stimme, nur wenig gedämpft durch die geschlossene Tür. »Aleksej Iwanowitsch Kardakow! Atkroj dwer! Eta ja, Boris! Boris Sergejewitsch Karpenko!«
    Wer auch immer das sein mochte, es reichte! Der Lärm musste aufhören!
    Er riss die Wohnungstür auf und blickte in die verdutzten blaugrünen Augen einer abgerissenen Gestalt. Wirres dunkelblondes
     Haar hing dem Mann in Strähnen in die Stirn. Hageres Gesicht, unrasiertes Kinn. Eine Alkoholfahne wehte Rath um die Nase.
    »Was soll der Radau?«, fragte er den Mann, der ihn mit glasigen Augen anstarrte. Er bekam keine Antwort. »Sie sollten besser
     nach Hause gehen und sich ins Bett legen, anstatt mitten in der Nacht an irgendwelche Türen zu klopfen.«
    Der Mann sagte etwas in einer Sprache, die Rath nicht verstand. Russisch? Polnisch? Er konnte es nicht genau sagen, doch er
     war sicher, dass der Fremde ihm gerade eine Frage gestellt hatte. Was war los? Fand der Mann nicht mehr nach Hause?
    »Wie bitte?«, fragte er. »Sprechen Sie Deutsch?«
    Der Fremde wiederholte seine Frage. Rath verstand nur, dass es um jemanden namens Alexej ging. Das war zwecklos, so kamen
     sie nicht weiter.
    »Tut mir Leid, ich kann Ihnen nicht helfen«, sagte er. »Gehen Sie nach Hause! Gute Nacht!«
    Kaum hatte er die Tür geschlossen, ging das Poltern wieder los.
    »Jetzt reicht’s aber«, giftete Rath und riss die Tür wieder auf, »wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, bekommen Sie
     richtig Ärger!«
    Der Mann stieß ihn beiseite und stürmte hinein. Eine Tür in dem geräumigen Flur stand offen, die von Raths Zimmer. Und genau
     dort hinein torkelte der Betrunkene. Rath stürzte hinterher. Der Fremde stand mitten im Raum und blickte sich suchend um.
     Was für ein Idiot! Womöglich glaubt der noch, er wohnt hier! Rath packte den Mann am Kragen. Er hatte gedacht, mit dem Betrunkenen
     leichtes Spiel zu haben, deswegen überraschte ihn dessen plötzlicher Wutausbruch. Mit einem Schrei drehte sich der Fremde
     um und drängte ihn gegen die Wand. Ein starker Unterarm drückte gegen Raths Hals, das Gesicht kam näher, so nah, dass der
     von Alkohol geprägte Mundgeruch kaum auszuhalten war.
    » Gdje Aleksej? Schto s nim? «, presste der Mann hervor und ließ einen weiteren babylonischen Redeschwall folgen. Rath rammte dem Mann das Knie in den
     Unterleib. Der Fremde klappte zusammen, hatte sich aber schnell wieder aufgerichtet. » Yob twaju mat! «, rief er und stürmte auf Rath los, doch der wich geschickt aus. Der Fremde polterte gegen den riesigen Kleiderschrank und
     schlug ein Brett aus dessen neugotisch gestalteter Seitenwand.
    Jetzt reichte es! Rath packte den Mann am Kragen, drehte ihm einen Arm auf den Rücken und zerrte ihn zurück auf den Flur.
     Die Wohnungstür stand noch offen, im Treppenhaus brannte kein Licht. Der

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