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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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hat er mir nie eins gezeigt.« Sie
     klang fast ein wenig gekränkt. Rath konnte sich vorstellen, dass auch sein Vormieter sich gegen die Annäherungsversuche seiner Zimmerwirtin hatte zur Wehr setzen müssen.
    »Ich nehme an, der Besuch von vorhin geht auch noch auf die Rechnung meines Vormieters?«
    »Davon können Sie ausgehen!« Elisabeth Behnke schenkte sich und ihrem jüngsten Mieter Tee ein.
    »Ich glaube, der Mann hieß Boris. Sagt Ihnen das was?«
    »Keine Ahnung. Hier gingen so viele Russen ein und aus.«
    »Der liebe Boris hat den Kleiderschrank demoliert. Vielleicht kann sich Herr Kardakow freundlicherweise um die Reparatur kümmern.« Oder mir am besten gleich einen neuen Schrank kaufen , dachte Rath. Das dunkle Monstrum in seinem Zimmer erinnerte eher an einen Beichtstuhl als an einen Schrank.
    »Herr Kardakow?« Sie holte eine halbvolle Flasche Rum aus dem Wandschrank und goss ein. Großzügig. »Wenn ich den jemals wiedersehe.
     Hals über Kopf ist er letzten Monat ausgezogen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Obwohl er mir noch eine Monatsmiete
     schuldet und der ganze Keller vollsteht mit seinem Gerümpel. Mehrfach habe ich ihm schon an seine neue Adresse geschrieben.
     Meinen Sie, er hätte geantwortet?«
    »Wie heißt er eigentlich mit Vornamen?«
    Sie schaute ihn an, und ihre Augen leuchteten hoffnungsfroh auf. »Meinen Sie, Sie können da was machen? Alexej heißt er. Alexej
     Iwanowitsch Kardakow.«
    Rath nickte. Das war der Name, den Boris genannt hatte.
    »Vielleicht hat er ja mehr Respekt, wenn er etwas von der Polizei hört«, meinte sie und reichte ihm seine Tasse. »Trinken
     Sie. Das tut gut nach so einem Schreck. Obwohl Sie so etwas ja bestimmt gewohnt sind als Polizist.«
    Er wusste nicht genau, was sie damit sagen wollte: War er den Schrecken gewohnt oder den Alkohol? Wahrscheinlich meint sie
     beides, dachte er und trank.
    Puhh, seine Vermieterin hatte mit Rum nicht gegeizt! Einen Moment argwöhnte er, sie wolle ihn betrunken machen, doch dann
     sah er, wie sie selbst ihre Tasse mit einem Zug hinunterkippte.
    »Noch einen?«
    Er trank seine Tasse aus und nickte. Irgendwie hatte er das Gefühl, eine kleine alkoholische Betäubung gebrauchen zu können.
     Weniger wegen des seltsamen Fremden als wegen des Traums, der ihm immer noch in den Knochen saß. Mit ein wenig Rum im Blut
     würde er ruhiger schlafen.
    »Lassen Sie den Tee weg«, sagte er und reichte ihr seine Tasse.
    Als er am nächsten Morgen erwachte, zeigte der Wecker Viertel vor neun. Rath setzte sich ruckartig auf und hielt sich den
     Kopf, in dem es nach der unerwarteten Anstrengung heftig pochte. Was hatte er bloß getrunken? Und vor allem: wie viel? Wenigstens
     lag er in seinem Bett. Nackt. Mit verklebten Augen schaute er sich um. Auf dem Plattenspieler drehte eine Platte sinnlose
     Pirouetten und ließ den Lautsprecher leise kratzen. Rath tastete nach dem Telefon auf dem Nachttisch und hätte sich fast in
     den Kabeln verheddert. Wolters Durchwahl konnte er im Schlaf runterbeten. Der Onkel nahm ab, und Rath murmelte eine Entschuldigung
     in die Sprechmuschel. Am anderen Ende der Leitung hörte er ein Lachen.
    »Du hörst dich nicht gerade gesund an, alter Junge. Wohl ein wenig über die Stränge geschlagen!«
    »Seit einer Woche die erste Nacht, die ich nicht in der Hermannstraße verbringen musste.«
    Sechs Nächte hatte Rath in der muffigen Neuköllner Wohnung verbracht und das Kommen und Gehen im Atelier König beobachtet,
     die Schicht, die sonst keiner übernehmen wollte.
    »Stimmt. Du hast dir einen freien Tag verdient.«
    Wolter schlug ihm vor, die Überstunden abzufeiern, die er in der Observationswoche angehäuft hatte. »Ausgeruht bist du mir
     lieber«, sagte er. »Bleib heute zu Hause.«
    Rath hatte nichts dagegen. Er legte auf und wollte sich umdrehen und weiterschlafen, doch etwas Warmes, das er plötzlich unter
     der Bettdecke ertastete, ließ ihn aufschrecken.
    Ein Arm!
    Was war gestern passiert? Hatte er eine Frau mitgenommen? Erstrengte seinen schmerzenden Kopf an, doch er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Der Traum fiel ihm wieder ein
     und der fremde Russe, der ihm den Schrank zerdeppert hatte. Und dann hatte er mit seiner Zimmerwirtin Tee getrunken … und
     Rum … und Brüderschaft …
    Oh nein!
    Rath zog die Bettdecke zurück. Langsam, mit dem Schlimmsten rechnend. Zu dem Arm gehörten blonde Locken, in denen ein leichter
     Silberglanz spielte. Kein Traum.
    Elisabeth Behnke

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