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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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gehabt?«
    »Frag mich was Leichteres«, sagte Rath.
    »Kein Wunder, dass du dich bei der Sitte nicht wohlfühlst«, meinte Wolter, »wenn du lebst wie ein Mönch. Ich mach dich beizeiten
     mal mit ein paar Mädels bekannt.«
    »Lass mal.« Nach der Sache mit Doris hatte Rath vorerst die Nase voll von Frauen. Sie hatte ihn fallenlassen wie die berühmte
     heiße Kartoffel, kaum war das mit der Hetzkampagne losgegangen. Das lag nicht einmal ein halbes Jahr zurück …
    »Na komm!« Wolter ließ nicht locker. »Ich kenn tolle Mädels! In unserem Beruf kommt man rum. Wie gesagt: Ich will nicht tauschen.«
    »Na, so schlecht scheint es auch in der Mordkommission nicht zu sein.« Er zeigte auf die Glastür, immer noch mit den Aschinger-Tüten
     in der Hand. »Kannst du mir sagen, wer das gerade war?«
    »Noch nie gesehen?« Wolter nahm ihm die drei Tüten ab. »Charlotte Ritter. Stenotypistin bei den Mördern. Und nun komm! Das
     Essen wird kalt.«

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    3
    N icht schon wieder! Sie schickten ihn hoch aufs Dach! Die Stimme von Lanke. »Rath, übernehmen Sie das, Sie kennen sich doch
     aus mit so was. Und fackeln Sie nicht lange.« Hinter Kriminalrat Lanke stand Kriminaldirektor Engelbert Rath,schweigend, dahinter ein Heer von Uniformierten. Der Blick über dem weißen Schnurrbart des Kriminaldirektors war eisig, prüfend,
     vorwurfsvoll. Er kannte diesen Blick. Ein Blick, den sein Vater schon aufgesetzt hatte, als der kleine Gereon das erste Mal
     schlechte Schulnoten mit nach Hause gebracht hatte. Lankes rotes Gesicht dagegen war eine einzige sadistisch grinsende Fratze.
     »Na los, Rath, machen Sie schon! Wie viele Unschuldige sollen noch sterben, nur weil Sie Ihren Arsch nicht hochkriegen? Wenn
     Sie denken, Sie müssten sich hier nicht schmutzig machen, dann haben Sie sich geschnitten!«
    Rath blickte zu dem Dach hoch, das immer steiler wurde und förmlich zu wachsen schien. Wie sollte er da jemals hinaufkommen?
     Als er sich wieder umschaute, waren sämtliche Einsatzkräfte verschwunden. Stattdessen standen da Frauen. Mit Kindern.
    Und dann fielen die Schüsse. Reihenweise kippten die Frauen um. Kaum war eine Reihe umgemäht, trat die nächste nach vorn.
     Wortlos, wie Schafe, die zur Schlachtbank trotteten. Die Frauen starben stumm, die Kinder schrien. Immer mehr Kinder. Je mehr
     Frauen starben, desto mehr Kinder fielen in das Geschrei ein.
    »Nein!« Rath hetzte nach oben, seine Höhenangst vergessend. Plötzlich war das Haus von einem Baugerüst umgeben, über Leitern
     musste er weiterklettern. Und dann sah er den Schützen. Er hatte eine ganze Batterie von Gewehren dort liegen. Seelenruhig
     lud er sie nach, eins nach dem anderen.
    Als Rath die oberste Plattform erreicht hatte, drehte sich der Mann um. Er kannte das Gesicht. Der Schütze zog sein Hemd hoch
     und zeigte einen bleichen, mageren Brustkorb. Mitten darin klaffte ein Einschussloch. Der Blutstrom war längst versiegt, eine
     Wunde wie bei den Leichen in der Gerichtsmedizin. Klinisch rein.
    »Da! Schau«, sagte der Schütze vorwurfsvoll, fast weinerlich, und zeigte auf das Loch in seiner Brust. »Das sag ich meinem
     Vater!« Er griff eines der geladenen Gewehre.
    Rath zog seine Dienstwaffe.
    »Runter mit dem Gewehr!«, rief er, doch der andere legte auf ihn an. Langsam und konzentriert, als stünde er auf dem Schießstand.
    »Runter mit dem Gewehr! Ich schieße!«
    Der andere ließ sich nicht beirren.
    »Du kannst mich nicht erschießen, ich bin schon tot«, sagte er und kniff ein Auge zu. »Schon vergessen?«
    Da brannten Rath alle Sicherungen durch. Er konnte nicht anders, er musste schießen. Eine ungeheure Aggression suchte sich
     ihren Weg und fand seine Schusshand. Immer wieder zog sein Zeigefinger den Abzug durch, doch die Mauser gab nur ein Klacken
     von sich. Klack, klack, klack, machte es, während der andere seelenruhig zielte und den Zeigefinger krümmte. Langsam, wie
     in Zeitlupe, zog er den Abzug zurück …
    »Nein!«
    Sein eigener Schrei holte ihn aus dem Schlaf. Plötzlich saß er hellwach und aufrecht im Bett. Kalter Schweiß stand ihm auf
     der Stirn, sein Herz raste. Das Klacken ging auch jetzt noch weiter. Es kam vom Fenster. Da! Schon wieder! Der Wecker auf
     dem Nachttisch zeigte halb zwei. Rath schälte sich aus dem Bett, warf seinen Hausmantel über und schaute hinaus. Auf dem Gehweg
     war niemand zu sehen. Die Nürnberger Straße lag menschenleer, durch die Bäume rauschte der Wind. Auf dem Fensterbrett lagen
     drei,

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