Der nasse Fisch
Kommunisten und kleinen Ganoven.«
Ja, eine Lignose, das weiß ich doch , hätte Rath beinah gesagt. »Von welchem Vergleichsmuster reden Sie?«, fragte er stattdessen.
»Der Fall Bülowplatz . Die Kugel haben wir letzte Woche schon untersucht, Vorrang, Sie wissen doch, Anweisung vom Polizeipräsidenten.«
»Jaja!« Konnte der Kerl nicht endlich mit der Sprache rausrücken? »Nun spucken Sie’s schon aus, Mann!«
»Also, die Kugel, die Kriminalassistent Stephan Jänicke getötet hat, stammt aus derselben Waffe wie die, die wir in der Leiche
von Josef Wilczek gefunden haben.«
Rath sagte nichts. Kronberg schaute, aus einem Grund, den nur er selber kennen mochte, so triumphierend drein wie ein römischer
Feldherr auf der Siegesparade.
»Da sind Sie baff, was?«
Rath war baff. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag.
Er war froh, als Kronberg das Büro endlich wieder verlassen hatte. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft.
»Ich bin jetzt fertig«, hörte er eine Stimme, die ihn aus seinen Gedanken riss.
»Wie?«
»Fertig.« Der Maler stand in der Tür und zeigte auf den Namen, den er auf das Glas gemalt hatte. »Aber noch nich trocken.
Passense bitte auf.«
»Danke. Könnten Sie die Tür schließen?«
Der Maler nickte und zog die Tür so vorsichtig zu, als sei sie aus Zucker.
Rath saß an seinem Schreibtisch und starrte die Tür an, auf der jetzt sein Name prangte. Doch nicht die Tür beschäftigte seine
Gedanken, sondern der braune Umschlag, der vor ihm lag. War das wirklich möglich? Er öffnete ihn. Das musste er schwarz auf
weiß sehen, das konnte doch nicht wahr sein!
Doch eine leise Stimme tief in seinem Inneren sagte ihm, dass es die Wahrheit war. Dass genau das die Wahrheit war.
Und sosehr seine Gedanken auch rotierten, er fand einfach keine andere Erklärung:
Bruno Wolter hatte Stephan Jänicke erschossen!
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III
Die ganze Wahrheit
21. Mai bis 21. Juni 1929
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26
D reimal hatte er geklingelt, doch nichts rührte sich. Als er den Schlüssel im Schloss drehte, blieb es immer noch ruhig in
der Wohnung. Er betrat das Haus und zog die Tür leise hinter sich zu. Die Uhr am Ende des Korridors zeigte halb vier. Ein
komisches Gefühl: allein am hellichten Tag in dieser Wohnung, in aller Heimlichkeit. Was, wenn Emmi Wolter plötzlich in der
Tür stehen sollte? Weil sie sich nur hingelegt hatte und auf sein Klingeln vorhin nicht so schnell an die Tür hatte eilen
können? Noch könnte er ihr erzählen, er habe etwas vergessen, das würde sie ihm wahrscheinlich sogar glauben. Und wenn er
erst einmal begonnen hatte, in ihren Sachen zu stöbern? Wie sollte er das erklären? Vielleicht war es doch eine Schnapsidee
gewesen, hier rauszufahren. Aber Rath konnte nicht anders, er brauchte Gewissheit.
Gennat hatte sich das Gutachten unter den Nagel gerissen. Und gleich auch die Akte Wilczek übernommen. Für den Inspektionsleiter
stand nun fest, dass Wilczeks Mörder auch Jänicke auf dem Gewissen hatte. Wahrscheinlich, so seine Theorie, war der Kriminalassistent
dem Wilczek-Mörder bei seinen Ermittlungen im Ringverein-Milieu auf die Schliche gekommen.
Unter normalen Umständen hätte Rath sich gefreut: über einen eigenen Schreibtisch in der Inspektion A, darüber, zur Mannschaft
des legendären Buddha zu gehören, und natürlich auch darüber, dass Gennat nun derjenige war, der den Fall Wilczek früher oder später zu den nassen
Fischen würde stellen müssen.
Unter normalen Umständen hätte er sich gefreut, doch normal schien nichts mehr zu sein.
Er gab vor, seine Arbeit zu machen, während seine Gedanken um ganz andere Dinge kreisten. Rath merkte, dass er geradezu nach
Erklärungen suchte, die Bruno entlasten konnten. Hatte der Onkel die Lignose vielleicht an Krajewski zurückgegeben? Oder sie
einfach verscherbelt? Aber warum sollte er?
Und warum sollte er Jänicke erschießen?
Es drehte sich alles um diese eine Frage:
Warum?
Das Hin und Her der Gedanken hatte Rath keine Ruhe gelassen. Er hatte sich einen Wagen besorgt und war nach Friedenau gefahren.
Und nun stand er hier wie ein Einbrecher in der Wohnung der Wolters und wusste nicht einmal, wo er überhaupt suchen sollte.
Wenn Bruno die Pistole überhaupt noch besaß, musste er sie in einem Versteck aufbewahren. Rath glaubte nicht, dass der Mann
seine Emmi in alle Geheimnisse einweihte, und in solche schon gar nicht.
Also machte es wohl wenig Sinn, unten zu suchen. Hier befanden sich die
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