Der nasse Fisch
einen
Freund nicht über die abgründige heimliche Leidenschaft seiner Frau zu informieren.
»Hm«, sagte er, »jeder hat so seine Geheimnisse, nicht wahr?«Er warf ihr einen verschwörerischen Blick zu. »Dann erzählen Sie Bruno aber bitte auch nichts davon, dass ich so vergesslich
bin. Niemand im Präsidium muss erfahren, dass ich am helllichten Tag noch einmal hier war.«
Er legte kurz seinen Zeigefinger an die Lippen, sie nickte eilfertig. Dann ließ er sie einfach stehen und ging die Treppe
hinunter.
»Also … Dann bis heute Abend, Herr Rath«, rief sie ihm mit unsicher zitternder Stimme hinterher.
Vor dem Abend graute ihm schon, als er kurz darauf wieder in der Burg eintraf. Im Präsidium würde er es wohl vermeiden können,
ihm über den Weg zu laufen. Dennoch stand ihm die Begegnung mit Bruno Wolter unausweichlich bevor. Die erste Begegnung, seit
der Verdacht in ihm gekeimt war, der nun zur Gewissheit herangewachsen war. Spätestens im trauten Heim der Wolters würde es
heute Abend dazu kommen.
Auch von Gennat und Kollegen hielt Rath sich fern. Nachdem er den Wagen bei der Fahrbereitschaft wieder abgegeben hatte, zog
er sich in sein Einsiedler-Büro zurück und gab vor, im Fall Wilczek/Jänicke weiter zu ermitteln.
Was er in gewisser Weise auch tat. Er versuchte, aus den Eintragungen in Jänickes Notizbuch schlau zu werden. Die meisten
dieser kalenderartigen Abkürzungen betrafen einen ominösen W , mit dem sich Jänicke offensichtlich insgesamt fünfmal verabredet hatte, das erste Mal Mitte April, lange vor den Wilczek-Ermittlungen. SG! war dick hinter dem ersten Eintrag vermerkt und unterstrichen.
Wer war W ? Wilczek wohl kaum. Wolter? Allerdings war für den 15. Mai kein Termin mit W eingetragen, nichts außer dem Eintrag, den Rath schon kannte: 1505/900/I an B. Was immer das heißen mochte. Stand das B für Bülowplatz?
Ein sechstes Treffen mit W hatte offensichtlich erst noch stattfinden sollen: 2405/830/W in P, eine Verabredung am 24. Mai, also in drei Tagen, um 8.30 Uhr. In P , wo immer das sein mochte. Potsdam vielleicht? Dort war Jänicke auf der Polizeischule gewesen.Ob W von Jänickes Tod wusste? Wahrscheinlich, so groß, wie die Presse darüber berichtet hatte.
Den ganzen restlichen Nachmittag grübelte Rath über den Notizen, immer bereit, das schwarze Buch in die geöffnete obere Schublade
seines Schreibtischs zu schieben, sollte ungebetener Besuch auftauchen, einer von Gennats Leuten etwa. Oder womöglich Bruno
Wolter. Rath hatte vorsorglich beide Türen geschlossen, die zum Vorzimmer und die zum Gang.
Er suchte das ganze Buch nach weiteren Eintragungen mit W ab. Gesprächsnotizen oder Ähnliches. Jänicke hatte sich so oft mit dieser Person getroffen, dass er doch noch etwas anderes
als die Termine aufgeschrieben haben musste. Vielleicht auch nicht. Wenn W eine Frau war. Ein schöner Holzweg wäre das! Wenn es sich beim ominösen W lediglich um eine Wilhelmine oder eine Waltraud handelte, die der scheue Ostpreuße angehimmelt hatte!
Rath blätterte weiter. In den ersten Teil seines Buches hatte Stephan Jänicke Telefonnummern eingetragen. Rath fand die Dienstnummern
der Inspektion E, gleich darunter Brunos Privatnummer, und etwas weiter unten war auch der Privatanschluss von Gereon Rath
in der Nürnberger Straße notiert. Oder besser: der ehemalige Privatanschluss. An diesen Apparat würde jetzt nur noch Elisabeth
Behnke gehen. Er durfte nicht vergessen, das Telefon abzumelden. Nicht dass die Behnke am Ende noch über seinen Anschluss
telefonierte!
Sortiert waren die Nummern nicht. Weder alphabetisch noch nach sonst einem erkennbaren System. Plötzlich stieß Rath auf eine
Nummer, die ihn stutzig machte. Und zwar, weil dort kein Name stand. Einfach nur eine Rufnummer, eine von vielen, eine, die
kaum auffiel in der Masse der Ziffern und Buchstaben: Westend 2531.
Vielleicht eine Spur. Er griff zum Hörer.
»Fräulein? Das Amt Westend bitte. Den Anschluss zwei-fünf-drei-eins. – Danke, ich warte.«
Es dauerte einen Moment, bis am anderen Ende abgehoben wurde. Dann meldete sich eine Frauenstimme.
»Wündisch«, sagte die Frau.
Rath war so irritiert, dass er vergaß aufzulegen.
»Hallo?«, hörte er die Frau nachfragen, »wer ist dort bitte?«
Und Rath beschloss, nicht aufzulegen.
»Böhm«, bellte er in den Apparat. »Ihren Gatten bitte!«
»Mein Mann? Tut mir leid, der ist nicht zu Hause. Aber den müssten Sie jetzt doch noch im
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