Der nasse Fisch
eigentlich gar nicht, um was er sich kümmern sollte, als er nun nach drei Tagen unfreiwilliger Pause wieder
an seinem Schreibtisch saß. Die Ereignisse vom Freitag hatten die Ordnung in der Inspektion A etwas durcheinander gewirbelt.
War er noch dem Fall Jänicke zugeteilt? Oder sollte er die ungeliebte Akte Wilczek wieder öffnen, die er lieber heute als
morgen zugeklappt und zu den nassen Fischen gestellt hätte? Das Einzige, was Zörgiebel Rath unmissverständlich klar gemacht
hatte, war, dass er keine eigenmächtigen Schritte im Fall Kardakow mehr unternehmen solle, nur das tun, was Böhm von ihm verlangte.
Nur verlangte der nichts, der Oberkommissar redete nicht einmal mit ihm. Nicht über das Wetter, und schon gar nicht über die
aktuellen Ermittlungen.
Doch Rath war entschlossen, sich in die Arbeit zu stürzen. Nach dem gestrigen Tag, dem trübseligsten Pfingstmontag seines
ganzen Lebens, wo er den ganzen Tag nur dumpfen Gedanken nachgehangen hatte und selbst der abendliche Alkoholexzess mit Bruno
ihn nicht hatte aufheitern können, nach solch einem Tag wusste er, dass er sich so mit Arbeit zuschütten musste, dass er überhaupt
nicht mehr dazu kam, an private Dinge zu denken. An Charly zu denken. Was passieren würde, wenn er ihr wieder begegnete. Jedenfalls
war er keiner von den Typen, die wegen einer Frau in die Fremdenlegion gingen.
Er beschloss, Gennat anzurufen. Der war immer noch der Chef der Inspektion A. Vielleicht würde er Rath ja in die Mordkommission Bülowplatz holen. Das schien ihm immer noch die sinnvollste Beschäftigung zu sein, die die Inspektion A derzeit zu vergeben hatte. Jänickes
Mörder durfte nicht ungestraft davonkommen. Außerdem konnte man von dem alten Fuchs Gennat bestimmt noch eine ganze Menge
lernen.
Rath hatte den Hörer in der Hand, doch er kam nicht mehr zu dem Anruf.
Es klopfte.
Ein Mann in einer weißen Arbeitshose stand in der Tür, in der einen Hand einen hölzernen Kasten, in der anderen einen Zettel.
»Ja bitte?«
»Kriminalkommissar Gero Rath?«
»Gereon!«
»Die Schildermaler, Herr Kommissar.«
Die Schildermaler? Rath konnte bei aller Mühe nur einen entdecken. »Schön. Dann legen Sie mal los«, sagte er. »Aber denken
Sie dran: Gereon.«
»Steht ja auch hier.« Der Maler wedelte mit dem Zettel.
Umständlich packte er seine Farben, Pinsel und Schablonen aus und stellte sich vor die geöffnete Tür.
»Können Sie die Tür nicht zumachen?«
»Nicht so gut, hier drinnen ist das Licht besser. Dauert auch nur ein paar Minuten.«
Der Mann pinselte in aller Seelenruhe vor sich hin. Manchmal beneidete Rath solche Menschen um ihre Ruhe. Gleichzeitig machten
sie ihn nervös.
Fast hätte der Maler seine Arbeit noch einmal beginnen können, denn ein eiliger Mann kam durch die Tür und hätte den Arbeiter
um ein Haar angerempelt. Kronberg vom ED, in der Hand einen braunen Umschlag. Er durchquerte das Vorzimmer und kam herein.
»Hier wird ja schon an der Tür gearbeitet«, sagte er zu Rath und zeigte nach hinten auf den Maler. »Wird das jetzt Ihr Büro?«
»Sieht so aus. Klein, aber mein. Nur die Sekretärin fehlt noch. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich für Sie«, sagte Kronberg und wedelte mit dem Kuvert, das den Stempel der Berliner Polizei trug. »Es geschehen noch Zeichen
und Wunder!«
»Was meinen Sie damit? Hertha wird Deutscher Meister?«
»Nein.« Kronberg schaute verständnislos. Kein Humor, der Mann. »Sie haben vor einer Woche ein ballistisches Gutachten in Auftrag
gegeben! Schon vergessen?«, fuhr er fort. »Und das hier ist das Ergebnis. Sie werden staunen. Könnte eine ganz heiße Spur
sein. Nicht nur in Ihrem Fall!«
Jetzt war es an Rath, verständnislos zu schauen. Das ballistische Gutachten im Fall Wilczek? Rath wusste, aus welcher Waffe
das Projektil stammte. Und genau deswegen hatte er von der Ballistik eigentlich keine heiße Spur erwartet, sondern eine weitere
Sackgasse in den Ermittlungen. Wie konnte das sein? Der ED hatte doch nur das Souvenir aus Krajewskis Pistole untersucht.
Sollte der Pornokaiser etwa schon früher mit dem Ding rumgefummelt haben?
»Wir haben das Projektil genau unter die Lupe genommen – und ein Vergleichsmuster gefunden, das uns ebenfalls letzte Woche
eingereicht wurde. Mit einer Wahrscheinlichkeit, die ich mal deutlich über neunzig Prozent ansetzen würde, wurden beide Projektile
aus ein und derselben Waffe abgefeuert, einer Lignose-Einhand. Beliebt bei
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