Der nasse Fisch
sich um. Und sah ihren schwarzen Mantel gerade noch in der
Calvinstraße verschwinden. Sie lief zur Spree hinunter. Er sprintete los. Jetzt wusste er wenigstens, wo sie war.
Kurz vor dem Steg, der zum Bahnhof Bellevue hinüberführte, hatte er sie eingeholt.
Er hielt sie fest, sie konnte ihm nicht mehr entwischen.
»Lass mich los!«, zischte sie. »Du tust mir weh!«
Wenigstens duzte sie ihn wieder. Fast hätte er gelacht.
»Jetzt hörst du mir erst mal zu!« Er schnaufte, ganz außer Atem. Sie wehrte sich wie ein Wildpferd. Ein paar Leute guckten
schon. »Du kannst mir nicht einfach weglaufen!«
»Hast doch gesehen, dass ich das kann! Du widerlicher Kerl!«
»Wenn du damit dezent andeuten willst, dass ich derjenige bin, der das zwischen uns versaut hat – danke, nicht nötig! Das
weiß ich selber! Und wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es tun. Meine Geheimniskrämerei war ein …«
»Du hast mich ausgehorcht! Du hast mich benutzt! Hast mir irgendwelche Gefühle vorgeheuchelt! Und da wunderst du dich noch,
dass ich dich nicht sehen will? Geh mir aus den Augen! Es reicht, dass ich dich im Präsidium ertragen muss.«
»Jetzt hör mir einfach mal zu! Das ist alles, was ich verlange. Ich hätte dich nicht so behandeln dürfen, ich hätte offen
mit dir reden sollen. Und genau das möchte ich jetzt tun, ich möchte reden! Ich möchte dir alles erzählen! Dir so viele Geheimnisse
um die Ohren schlagen, dass dir schwindelig wird.«
»Wenn du mich zurückhaben willst, wenn das ein billiger Trick ist, mit dem du mich wieder rumkriegen willst, vergiss es!«
Ihre Augen funkelten ihn an.
»Ich will nur eins: mit dir reden. Es geht nicht um uns. Es geht um mich. Ich weiß nicht mehr weiter.«
»Wie kommst du darauf, dass ich dir zuhöre?«
»Ich kann dich nur darum bitten.«
»Warum ausgerechnet mich?«
»Du bist der einzige Mensch in dieser Stadt, dem ich vertraue. Ich stecke so tief in der Scheiße wie noch nie. Ich …«
»Nichts für ungut, Gereon, aber genau so siehst du im Moment auch aus: beschissen.«
Er musste sie ziemlich verwundert angeschaut haben. Einen Moment blieb sie noch ernst. Dann, langsam, bildete sich ihr Grübchen,
als sie die Mundwinkel hochzog. Und da wusste er, dass sie ihm zuhören würde.
Wie lange hatte er auf dieses Lächeln gewartet!
Vorhin im Hotel war er so unruhig in seinem Zimmer hin und her gelaufen wie ein Tiger im Käfig. Als die Wirkung des Kokains
langsam nachließ, hatte er gespürt, wie die Müdigkeit ihn wieder packte. Dennoch fand er keine Ruhe. Die Begegnungmit Bruno Wolter saß ihm in den Knochen, die Wut über ihn, über die eigene Ohnmacht. Er war am Ende mit seinem Latein. Was
sollte er tun? Tatenlos zuschauen, wie ein Mörder jeden Tag ins Präsidium fuhr und lächelnd seine Arbeit tat, als sei nichts
geschehen? Wie er weiter den Polizisten mit der weißen Weste spielte?
Oder sollte er seine Anschuldigungen vorbringen? Der Staatsanwalt würde Beweise fordern, die Rath nicht hatte. Dafür aber
müsste er sich selbst belasten. Und am Ende würde Wolter es so drehen, dass sie dem geständigen Gereon Rath auch noch den
Mord an Jänicke anhängten. Ein passendes Motiv fände sich leicht: Der Kriminalassistent war dahintergekommen, dass Kommissar
Rath den heiligen Josef verbuddelt hatte, deshalb hatte Rath ihn ermordet. Das klang auch nicht abstruser als die Wahrheit.
Vielleicht sogar einleuchtender.
Rath war am Ende. Sein einsamer Kampf führte nicht mehr weiter. Er brauchte Hilfe. Ihm war nur ein einziger Mensch eingefallen,
dem er sich anvertrauen konnte. Und so hatte er seinen Stolz in den Schrank gesperrt und war zu Charly gefahren.
Als sie durch den Schlosspark am anderen Spreeufer spazierten, dämmerte es bereits. Man hätte sie fast wieder für ein Liebespaar
halten können, auch wenn sie das nicht waren.
Er erzählte ihr alles.
Wie er auf eigene Faust in Sachen Kardakow ermittelt hatte, wie Wilczek ihn angefallen hatte und wie er gestorben war, wie
er die Leiche verbuddelt und dann die Ermittlungen frisiert hatte. Und dass er deshalb der Einzige war, der wusste, dass Bruno
Wolter Stephan Jänicke erschossen hatte.
Auch das Kokain verschwieg er ihr nicht, nicht einmal den tödlichen Schuss in Köln, auch wenn der mit den aktuellen Ereignissen
nichts zu tun hatte. Nur eine einzige Sache sparte er aus: seine seltsame Bettgeschichte mit Elisabeth Behnke.
Charly hörte schweigend zu. Keine Spur von
Weitere Kostenlose Bücher