Der nasse Fisch
einem Lächeln mehr auf ihrem Gesicht.
»Ich glaube, ich brauche jetzt erst mal einen Kaffee«, sagte sie,als er geendet hatte. »Und du siehst mir so aus, als könntest du ebenfalls einen gebrauchen. Wenn nicht sogar drei.«
Sie war tatsächlich schockiert. Eigentlich hatte sie gedacht, nichts könne sie mehr überraschen, seit sie bei der Polizei
arbeitete. Doch das, was Gereon ihr gerade erzählt hatte, machte sie erst einmal sprachlos.
Schweigend gingen sie zurück in die Spenerstraße. Die Straßenlaternen leuchteten bereits.
»Ich wollte euch schon als vermisst melden«, sagte Greta, als sie zurückkamen. Charlotte konnte der Freundin ansehen, wie
neugierig sie war. Sie gab ihr einen unauffälligen Wink, als Gereon gerade nicht hinschaute, und Greta verschwand wieder in
ihrem Zimmer.
»Möchtest du was essen?«, fragte sie, als sie sich am Herd zu schaffen machte und Wasser aufsetzte. Wie er da am Küchentisch
saß, wie ein müder Krieger nach der verlorenen Schlacht, weckte er Mutterinstinkte in ihr. Den Kaffee schien er wirklich gebrauchen
zu können, er sah aus, als würde er gleich vom Stuhl kippen.
»Danke«, sagte er. »Aber ich krieg jetzt keinen Bissen runter.«
»Ich hoffe, das ist keine Spitze gegen meine Kochkünste.«
»Die hab ich ja noch gar nicht kennen gelernt.«
»Jetzt hätte ich sowieso nur Stullen anzubieten.«
»Kaffee reicht.«
Das Wasser kochte gerade, da klingelte es an der Tür.
Sie schaute auf die Uhr über dem Tisch. Drei Minuten vor zehn.
Ihre Verabredung!
Sie hatte den Mann in der Aufregung ganz vergessen!
Georg Siegert. Ein Kollege von Greta. Sie hatte ihn angeschleppt und gesagt, der wäre doch was für Charly. Und sie hatte sich
breitschlagen lassen.
Den Mann konnte sie jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Und außerdem verspürte sie überhaupt keine Lust mehr, heute auszugehen.
Sie rannte zur Wohnungstür, bevor Greta auf die Idee kam zu öffnen.
Da stand Herr Siegert, hatte ein Siegerlächeln aufgesetzt und streckte ihr einen Strauß Blumen entgegen.
»Schöne Blumen für eine noch schönere Frau«, sagte er.
Der Spruch war selten dämlich, aber Herr Siegert hatte ohnehin schon verloren.
Charly ignorierte das Gemüse in seiner Hand. Orchideen! Sie hasste Orchideen!
»Dass Sie es wagen!«, sagte sie. »Eine Frechheit!«
Georg Siegert wusste offensichtlich nicht, was er gewagt haben sollte. Er schaute irritiert.
»Wie bitte?«, fragte er.
»Wenn ich eines nicht leiden kann, Herr Siegert, dann ist das Unpünktlichkeit!«
»Unpünktlich?«, sagte der Mann und ließ die Hand mit dem Blumenstrauß endlich sinken. »Aber wir waren doch um zehn verabredet,
oder?«
»Dann schauen Sie mal auf Ihre Uhr! Wir haben zwei Minuten vor zehn! Und geklingelt haben Sie noch früher! Einen schönen Abend noch!«
Und damit schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.
Das Kaffeewasser kochte immer noch, als sie in die Küche zurückkehrte.
Und Gereon Rath saß immer noch am Tisch.
Sie hätte sich mit dem Kaffee beeilen sollen. Gereons Kinn war auf die Brust gesackt. Er war eingeschlafen.
Als er aufwachte, hatte er ihren Duft in der Nase.
»Charly«, murmelte er und umarmte das Kopfkissen. Seine Hände tasteten nach ihr und fanden sie nicht. Er öffnete die Augen.
Das Bettzeug duftete nach ihr, von ihr selbst war nichts zu sehen.
Er setzte sich auf. Wo war er? Ein gemütliches kleines Zimmer. Charlys Zimmer! Rath streckte sich. Er fühlte sich so gut wie
seit Tagen nicht mehr. Ausgeschlafen vor allem. Und er hatte in ihrem Bett geschlafen! Auch wenn sie offensichtlich nicht darin gelegen hatte. Dafür war sie durch seine Träume gegeistert. Sie
und ihr Duft. Er steckte seine Nase in ihr Kissen und atmete noch einmal tief ein.
Nur langsam kam die Erinnerung an gestern Abend zurück. Er hatte ihr alles erzählt, das wusste er noch, das war kein Traum.
Und sie hatte ihn nicht zum Teufel gejagt. Sie hatte ihm sogar einen Kaffee kochen wollen. Das war das Letzte, an das er sich
erinnerte, wie er in der Küche saß und sie am Herd stand, um Kaffee zu kochen.
Er stand auf und ging ans Fenster. Die Sonne schien. Seine Sachen lagen sauber gefaltet über einem Stuhl. Bis auf die Unterwäsche
hatte sie ihn ausgezogen. Fürsorglich.
Langsam öffnete er die Tür und schielte hinaus. In der Diele war niemand. Ob das Bad frei war? Die Tür war nur angelehnt.
Er schlüpfte aus dem Zimmer. Freie Bahn!
Rath schaute in den Spiegel. Eine Rasur würde ihm guttun,
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