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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Polizeiarbeit
     nahezubringen. Diesen Preußen war es immer noch wichtiger, am Tatort erst einmal Ordnung zu schaffen, statt Spuren zu sichern.
     Böhm betrachtete den Mann am Steuer. Der hatte es hinter sich. Toter ging’s nicht.
    »Gräf«, bellte Böhm durch die Nacht. »Machen Se mal ’n Foto. Bevor der Doktor hier alles durcheinander bringt.«
    Kriminalassistent Reinhold Gräf war schon dabei, den schweren Fotoapparat aus dem wohlsortierten Gepäckraum des Mordautos
     zu hieven.
    Inzwischen hatte sich auch der Schupo von dem Anpfiff erholt und trat zum Oberkommissar, zackig salutierend.
    »Kemmerling, Oberwachtmeister«, machte er Meldung und zeigte auf eine Lücke in der Uferbegrenzung, direkt neben der Brücke.
     »Da isser durch. Er muss übers Tempelhofer Ufer gerast und dann vom Fahrdamm abgekommen sein.«
    Böhm betrachtete die Leiche von oben bis unten und schüttelte den Kopf. »Wie soll er auch vernünftig fahren können mit solchen
     Händen. Fragt sich nur, ob er sich in dem Zustand freiwillig ans Steuer gesetzt hat.«
    Der Schupo trat näher an den Wagen und zuckte merklich zusammen, als er die Hände des Toten erblickte. Die einzelnen Finger
     waren in dem Brei aus Fleisch, Haut und Knochen kaum noch zu unterscheiden, manche Gelenke schienen nur noch von der Haut
     gehalten zu werden, andere waren derart unnatürlich verdreht, dass allein der Anblick schmerzte.
    »Wie viele Leute haben Sie hier, Kemmerling?«, fragte Böhm den Blauen.
    »Fünf«, sagte der Oberwachtmeister. »Wegen der kommunistischen Unruhen haben sie mir die meisten Leute abgezogen.«
    Böhm nickte verständnisvoll. Auch er hatte zu wenig Leute. Seit zwei Tagen hielten die Maiunruhen nun an. Die Dinge waren
     der Polizei aus der Hand geglitten und schnell eskaliert. Es hatte Schießereien gegeben und Tote. Die kommunistischen Hochburgen
     rund um den Bülowplatz, im Wedding, in Neukölln, waren von der Schutzpolizei offiziell zu Unruhegebieten erklärt worden. Dort
     herrschte Belagerungszustand. In Berlin schien der Bürgerkrieg wieder loszugehen.
    »Fünf. Nicht gerade üppig«, meinte er. »Aber gut. Vier verjagen mir endlich die Schaulustigen und riegeln den Tatort anständig
     ab, einer hilft bei der Spurensicherung, bis der Erkennungsdienst eintrifft. Wenn der heute überhaupt noch kommt.«
    »Ähem…« Kemmerling schien nicht ganz zu verstehen. »Spurensicherung?«
    »Ganz einfach: Fassen Sie nichts an, treten Sie in nichts rein und folgen Sie den Anweisungen der Mordkommission«, sagte Böhm
     und wandte sich um. »Ritter?«, rief er laut in die Dunkelheit.
    Die Stenotypistin trat ins Scheinwerferlicht des Kranwagens.
    »Legen Sie Ihren Block beiseite, Charly«, sagte der Mordermittler, »das hat Zeit. Zeigen Sie dem Mann hier erst mal, wie man
     Spuren sichert.«
    Kriminalassistent Gräf hatte den Fotoapparat inzwischen neben dem Horch aufgebaut. Für den Bruchteil einer Sekunde leuchtete
     es am Tatort taghell, als das Blitzlicht zündete. Es schien fast, als lächele der Tote für die Kamera.
    Sie spürte, wie der Schupo auf ihr Kleid starrte. Sie spürte es, obwohl sie voranging. Sie hatte sich das grüne Tanzkleid
     vor ein paar Tagen erst genäht und wusste, dass es ihre Figur betonte. Und einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer wirklich
     langen Beine sehen ließ. Sie trug es heute zum ersten Mal, und vorhin auf dem Parkett des Moka Efti hatte sie sich darin auch richtig wohl gefühlt. Da genoss sie es, die Blicke der Männer auf sich zu ziehen. Das war bei einem
     ersten Rendezvous nie verkehrt. Jakob sollte nicht glauben, dass er sie sicher hatte. Dass ihr das Herz bis zum Halse schlug,
     wenn er sie anlächelte, hatte er hoffentlich nicht bemerkt. Nein, eigentlich war alles gut gelaufen.
    Bis der livrierte Diener die Tafel mit ihrem Namen hochhielt. Telefon für Frl. Ritter. Jakob hatte komisch geschaut, als sie ihn auf dem Parkett zurückließ. Sie ahnte, dass der Anruf von der Mordkommission kam,
     Böhm war der Einzige, der wusste, dass sie im Moka Efti war – und natürlich Greta, doch die hätte sie an diesem Abend niemals gestört. Jakob stand an der Bar, als sie von der Telefonzelle
     zurückkehrte. Die Mitteilung, dass sie nun leider gehen müsse, hatte er wortlos hingenommen. Er hatte sie noch zur Garderobe
     begleitet und sogar hinunter auf die Friedrichstraße, wo sich zahlreiche Nachtschwärmer vor der Rolltreppe drängten, diezur neuesten Attraktion des Berliner Nachtlebens führte. Als dann in

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