Der nasse Fisch
Wasserstrahls umgestoßen
und kugelten über den nassen Asphalt.
»Schöne Arbeit: Kommunisten begießen«, meinte Wolter, »das wär noch was für mich.«
Er erntete ein paar Lacher.
»Und für so was setzt unser Polizeipräsident den ganzen Apparat in Alarmbereitschaft«, sagte Schultes, ihr Gastgeber, und
schüttelte verständnislos den Kopf. »Das nenn ich Sozi-Hysterie. Heute Nachmittag sitzen die Herren Kommunisten wieder bei
Muttern am Ofen und trocknen ihre nassen Sachen. Genug Revolution gespielt. Alle hatten ihren Spaß, und Berlin hat wieder
Ruhe.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, meinte Wolter. »Die Rotfrontkämpfer bekommen Waffen aus Moskau. Und sie werden an denen
auch ausgebildet. Wenn die heute zuschlagen, dann ist das kein Revolutionsspiel mehr, dann ist das Ernst.«
»Bislang haben wir die Roten immer noch kleingekriegt, oder?«, meinte Schultes. »Vor zehn Jahren wollten die auch schon Revolution
machen. Und was ist daraus geworden? Nein, das sind Maulhelden, wenn’s ernst wird, kneifen die den Schwanz ein.«
»Wollen wir’s hoffen«, meinte Wolter und machte ein besorgtes Gesicht. »Solchem Gesindel darf man jedenfalls nicht widerstandslos die Straße überlassen.«
»Mag sein, Kollege«, erwiderte Schultes. »Aber die Völkischen mit ihren Braunhemden sind auch nicht viel besser. Die können
nur besser marschieren.«
»Und schießen nicht auf Polizisten.«
Schultes fixierte den Onkel mit festem Blick. »Recht und Ordnung sollten in jedem Fall aufrechterhalten bleiben«, sagte er
schließlich, »da haben Sie Recht, Herr Kollege.«
»Aber das ist Aufgabe der Schutzpolizei, nicht der Kriminalpolizei«, meinte Rath, »ich jedenfalls bin froh, dass wir mit Politik
nichts zu tun haben, sondern nur mit Verbrechen.«
»Politiker, Verbrecher – wer sagt Ihnen, dass das nicht das Gleiche ist?«, meinte Schultes.
Alle lachten. Rath schaute nachdenklich aus dem Fenster. Vor zehn Jahren, nach dem Krieg, auch da war es drunter und drüber
gegangen auf Deutschlands Straßen. Seitdem hatte er so etwas nicht mehr gesehen. Die Kollegen unten auf dem Platz gingen beherzt
zur Sache. Nicht nur mit Feuerwehrschläuchen. Er hätte in diesem Moment jedenfalls nicht in Zivil auf dem Alex stehen wollen.
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5
D as Auto hing am Haken des Bergungskrans wie ein zu groß geratener Fisch. Durch die Türritzen floss schmutzigbraunes Wasser
zurück in den Landwehrkanal. Der Scheinwerfer des Kranwagens ließ das helle Auto in der dunklen Nacht gespenstisch leuchten.
Die letzte U-Bahn rollte aus dem Bahnhof Möckernbrücke. Oberkommissar Wilhelm Böhm schälte sich missmutig aus dem großen schwarzen
Mercedes, der gerade am Tempelhofer Ufer angehalten hatte, und setzte seine Melone auf. Ein paar schaulustige Nachtschwärmer zogen ihre Aufmerksamkeit von der Bergungsaktion ab und bestaunten den Wagen, aus dem nun auch noch eine
elegant gekleidete schlanke Frau kletterte, einen Stenoblock in der Hand, gefolgt von einem jungen Mann.
Das schwarze Mordauto war berühmt in Berlin. Der Mercedes war mit allem ausgestattet, was bei einer Mordermittlung am Tatort
benötigt wurde: nummerierte Markierungspfähle zur Spurensicherung, ein Fotoapparat, Scheinwerfer, Bandmaß und Zollstock, Kartenmaterial,
Handschuhe, Pinzetten, ein mobiles Polizeilabor und alle möglichen Behältnisse zur Beweisaufnahme. Der Wagen transportierte
sogar ein fahrbares Büro: einen Klapptisch mit mehreren Stühlen, die man am Tatort aufbauen konnte, samt Reiseschreibmaschine.
Bei dem Wagen, der von dem Kran gerade behutsam auf den nassgetropften Asphalt der Möckernbrücke gesetzt wurde, handelte es
sich um einen cremefarbenen Horch 350. Das Verdeck war offen. Am Steuer saß ein nasser, bleicher Mann.
Oberkommissar Böhm stiefelte auf den Schupo los, der die Bergungsaktion dirigierte.
»Sagen Sie mal«, schnauzte er den Blauen grußlos an, »sind wir hier im Lunapark? Was haben die ganzen Leute am Tatort zu suchen?
Sorgen Sie mal dafür, dass die Schaulustigen verschwinden! Und warum konnten Sie mit der Bergung nicht bis zum Eintreffen
der Mordkommission warten? Haben Sie wenigstens die Taucher befragt, wo genau der Wagen im Kanal gelegen hat?«
Der Mordermittler ließ den Polizisten stehen, ohne eine Antwort abzuwarten, und trat zu dem Wagen, der noch vor wenigen Minuten
auf dem Grund des Landwehrkanals gelegen hatte. Zwecklos, diesen Hornochsen in Uniform die Methoden moderner
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