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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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der Leipziger Straße das Mordauto hielt, in dem Böhm
     bereits saß und sie zur Eile antrieb, konnte sie nicht sagen, ob ihr wortkarges Gespräch gerade ein Abschied gewesen war oder
     ein Streit. Jakob hatte dem schwarzen Wagen nicht lange hinterhergeschaut, sondern war zurück zur Rolltreppe gegangen. Wieder
     ein Mann, der mit ihrem Beruf nicht klarkam?
    Sie fror ein wenig. Der kurze Mantel über dem Kleid war nicht wirklich warm. Anfang Mai konnten die Nächte in der Stadt noch
     sehr kalt sein.
    »Sind Sie Kavalier?«, fragte sie den Schupo, als sie am Mordauto angekommen waren.
    Der Mann schien schwer von Begriff. »Wieso?«, fragte er.
    »Sind Sie’s oder sind Sie’s nicht?«
    »Natürlich …«
    »Das trifft sich gut! Dann können Sie mir Ihren Mantel leihen.«
    Er guckte sie an, als habe er sich verhört.
    »Keine Angst, Sie müssen ihn nicht über eine Pfütze legen! Nur zum Anziehen! Das gute Stück ist doch sowieso Eigentum der
     preußischen Polizei. Oder wollen Sie die Mordkommission nicht unterstützen?«
    Sie musste die Ärmel des schweren blauen Mantels zweimal umkrempeln, dann ging es. Halbwegs. Aber ihr wurde gleich wärmer.
    »Danke schön.«
    Sie reichte dem Uniformierten ein Paar Stoffhandschuhe und drückte ihm ein paar blecherne Markierungsschilder in die Arme.
     Dann stapften sie los. In dem Mantel fühlte sie sich nicht so beobachtet, als sie voran zum Ufer des Landwehrkanals ging.
    Der Wagen schien ungebremst durch den schmiedeeisernen Uferzaun gebrochen zu sein. Die Stäbe waren nach unten gebogen, zum
     Teil aus ihren Verankerungen gerissen und im Wasser gelandet. Es sah aus, als habe eine riesige Faust dort hineingeschlagen.
     Auf ihre Anweisung hin stellte der Schupo das Schild mit der Nummer eins an der Bruchstelle ab. Bremsspuren, die man hätte
     markierenkönnen, konnte sie nirgends entdecken. Überhaupt war es schwer, den Weg nachzuvollziehen, den der Horch genommen hatte. An
     einem Uferbaum fehlte ein Stück Rinde, das freigelegte Holz glänzte feucht im Scheinwerferlicht, das von der Brücke kam. Hier
     war der Wagen vorbeigeschrappt, bevor er auf den Uferzaun traf, das hatte ihn nicht aufhalten können, höchstens die Fahrtrichtung
     geändert. Wäre das Auto frontal gegen den Baum gefahren, hätten sie es wohl nicht aus dem Kanal ziehen müssen, aber dem Mann
     am Steuer wäre es dabei kaum besser ergangen. Sein Gesicht hätte dann jedenfalls nicht mehr so schön ausgesehen. Sie betrachtete
     den Abstand zwischen Baum und Ufer. Nur wenige Meter. Nach der Bresche im Zaun zu schließen musste das Auto fast im rechten
     Winkel auf die Uferbegrenzung getroffen sein. Doch woher war es gekommen, bevor es den Baum streifte? Sie schaute sich um.
     Der Fall begann sie zu interessieren, sie hatte Witterung aufgenommen.
    Nachdem sie dem Schupo noch ein paar Anweisungen gegeben hatte, was er markieren sollte, ging sie ein paar Schritte in die
     Möckernstraße hinein, die vom Kanal zur Yorckstraße führte. Nur die linke Seite war bebaut, rechts zog sich eine hohe Backsteinmauer
     den Gehweg entlang. Dahinter lag das Gelände des Anhalter Güterbahnhofs. Unter den Bäumen am Straßenrand parkten einige Autos.
     Sie ging nah an den Fahrzeugen vorbei. Das Licht der Straßenlaternen reichte kaum bis hierhin, sie musste ihre Augen anstrengen.
     Und doch fand sie es schließlich. Am Kotflügel eines pechschwarzen BMW. Heller Lackabrieb. Cremefarben. Nun war es mehr als
     Instinkt, nun war sie sich sicher. Sie rief den Schupo zu sich.
    Aus den Augenwinkeln hatte er beobachtet, wie Oberwachtmeister Kemmerling brav hinter Charly hergedackelt war, einen ganzen
     Strauß Blechschilder im Arm. Schien ein Kavalier zu sein, der Mann, hatte ihr sogar seinen Mantel übergeworfen. Tja, daran
     hatte er mal wieder nicht gedacht, obwohl es seine Schuld war, dass sie nun im Ballkleid durch die Kälte laufen musste. OberkommissarWilhelm Böhm war eben ein ungehobelter Klotz, da war nichts zu machen. Blödsinn, dachte er und schaute zu dem Horch hinüber,
     der immer wieder im Blitzlicht aufleuchtete. Von wegen: meine Schuld! Nein, es ist ganz allein seine Schuld, die Schuld eines
     unbekannten Mannes, den man aus dem Landwehrkanal gefischt hat. Der ist es, der uns den Abend versaut hat.
    Er hörte Charly rufen, und der frierende Oberwachtmeister setzte sich wieder in Bewegung. Dem Schupo fiel es sichtlich schwer,
     den Anweisungen einer Frau zu folgen. Hätte Kemmerling gewusst, dass Charlotte Ritter

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