Der nasse Fisch
nicht einmal den Rang einer Kriminalbeamtin
besaß, er hätte wahrscheinlich keinen Finger gerührt. Aus diesem Grunde hatte Böhm es ihm auch nicht verraten. Frauen in der
Polizei hatten es so schon schwer genug. Er wusste, dass er sich auf Charly verlassen konnte, und das war in dieser Nacht,
wo er kaum Leute zusammenbekommen hatte, besonders wichtig. Dumm nur, dass ihm jetzt, wo sie da draußen Spuren sicherte, eine
Stenotypistin fehlte. Böhm war es gar nicht mehr gewohnt, sich selbst Notizen zu machen. Den Block, den er in seinen dicken
Pranken hielt, hatte er sich von Gräf leihen müssen.
Der Oberkommissar hatte es sich auf der dick gepolsterten Sitzbank des Mordautos bequem gemacht, dessen Fond man mit ein paar
Handgriffen in ein kleines Büro verwandeln konnte, und verhörte die einzigen Zeugen, die sie hatten. Einen Mann und eine junge
Frau, die am Tempelhofer Ufer in einem parkenden Auto gesessen hatten, als der Horch durch die Uferbegrenzung krachte.
Nicht besonders ergiebig, das Gespräch. Das Pärchen schien sehr beschäftigt gewesen zu sein, beide hatten kaum etwas gesehen.
Der Wagen musste ohne Licht aus dem Dunkel gekommen sein, erst ein lautes Krachen hatte sie aufgeschreckt. Fräulein Wegener
hatte gerade noch mitbekommen, wie der Motor aufheulte und die Räder durchdrehten, bevor der Wagen mit einem lauten Klatschen
auf die Wasseroberfläche prallte. Der Mann schien gar nichts gesehen zu haben. Die beiden waren ausgestiegen und ans Ufer
gelaufen. Sie konnten nichts mehr tun, nur ohnmächtig zuschauen,wie der Horch kurz auf dem Wasser schaukelte, dann nach vorne kippte und schnell unterging. Als sie merkten, dass hier jede
Hilfe zu spät kam, hatten sie die Polizei verständigt.
»Haben Sie sonst noch etwas gesehen oder gehört?«, fragte Böhm. »Bremsgeräusche etwa? Oder hat der Fahrer um Hilfe geschrien?
Saßen noch andere Personen in dem Wagen, als er unterging?«
Alle Fragen verneinte Fräulein Wegener. »Der war vollkommen weggetreten, wenn Sie mich fragen. Hat überhaupt nicht reagiert,
als der Wagen unterging. Vielleicht war er ja betrunken.«
Oder bereits tot, dachte Böhm. Er schaute auf den Notizblock. Viel hatte er nicht hineingeschrieben, und das wenige, was dort
stand, konnte er schon jetzt kaum noch entziffern.
»Hm«, sagte er und stand auf, »ich denke, das wär’s fürs Erste. Ihre Personalien haben wir ja.« Sie stiegen aus dem Mordauto.
Böhm ließ die beiden stehen. Auf der Möckernbrücke hatte er eine Silhouette erblickt, die ihm bekannt vorkam.
»Der Fortschritt der Menschheit ist unverkennbar«, hörte er den Mann auf der Brücke sagen. »Jetzt fahren die Wasserleichen
sogar schon Auto.«
Wilhelm Böhm kannte Dr. Magnus Schwartz seit Jahren. Der Zynismus des Mediziners war berufsbedingt. Auch Kriminalkommissare
neigten dazu. Wahrscheinlich hatte er deshalb so einen guten Draht zu dem Leichenbeschauer, der im Hauptberuf eine ordentliche
Professur an der Universität bekleidete.
»Guten Abend, Herr Doktor! Hat man Sie aus der Oper geholt?«
Schwartz, der sich zu dem Toten hinter dem Steuer gebeugt hatte, drehte sich um. Er trug Abendgarderobe unter seinem Mantel.
»Ach Böhm! Hätte ich mir denken sollen, dass Sie dahinterstecken!« Der Mediziner schüttelte ihm die Hand. »Nein, in die Oper
gehe ich nicht. Ist mir zu laut. Empfang beim Dekan. Ziemlich langweilige Gespräche, wenn man bedenkt, welche Elite deutschen
Geistes da zusammengekommen ist.«
»Da können Sie ja froh sein, dass wir Sie da rausgeholt haben.«
»Verraten Sie das aber nicht meiner Frau!«
»Und?«, fragte Böhm und zeigte auf die Leiche.
»Sie werden es kaum für möglich halten, lieber Böhm, aber dieser Mann ist tot.«
»Ach, tatsächlich?« Böhm tat überrascht. »Es geht doch nichts über die Auskunft eines Experten!«
Der Doktor knöpfte dem Toten den feinen Zweireiher und das Hemd auf. Dann schaute er ihm in den Mund. »Todesursache noch unbekannt«,
meinte er nach einer Weile, »höchstwahrscheinlich war er aber schon tot, bevor er ins Wasser fiel. Wollen Sie weitere Schätzungen
hören? Oder können Sie sich bis morgen Mittag gedulden? Dann weiß ich, ob er Wasser in den Lungen hat.«
Böhm sagte nichts.
»Hätte ich mir denken können«, meinte der Doktor. »Also, alles Zirka-Werte und alles ohne Gewähr – bis Sie morgen das amtliche
Ergebnis haben: männliche Leiche, Größe über einssiebzig, rund fünfundsechzig Kilo,
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