Der nasse Fisch
obwohl er sicher war, dass es keiner war. Der arme Kerl, der da auf dem Marmortisch
lag, war ermordet worden. Zumindest aber hatte jemand seine Leiche beseitigen wollen, anstatt sie anständig zu beerdigen.
Das konnte er schon sagen, ohne die Weisheit von Dr. Schwartz hinzuzuziehen.
Vielleicht sollte er von Gräfs Tatortaufnahmen tatsächlich ein paar Porträtabzüge machen lassen und seine Leute damit noch
einmal losschicken, dachte er gerade, als er die tiefe Stimme des Mediziners hörte, der forschen Schrittes in den stillen
Raum stürzte.
»Ah, guten Tag, Böhm, entschuldigen Sie die Verspätung. Aber wir bekommen dauernd neue Leichen angeliefert. In der Stadt scheint’s
gerade rundzugehen.« Er schüttelte Böhm die Hand. »Keine Angst«, sagte er, als er die besorgte Miene des Kommissars sah, »von
euch ist keiner dabei. Wohl alles Rote. Aber auch ein paar Frauen. Irgendwas scheint da aus dem Ruder zu laufen.«
»Solche Geschichten laufen immer aus dem Ruder«, meinte Böhm. »Das war vor zehn Jahren nicht anders. Meistens sterben die
Falschen. Meistens aus Versehen.«
Dr. Schwartz zog sich ein Paar Handschuhe über, trat an den Marmortisch und zog die Decke zurück. »Unser Freund von gestern
Nacht ist jedenfalls nicht aus Versehen gestorben. Den hatman mit Absicht so schlimm zugerichtet. An seinen Hand- und Fußgelenken ist so gut wie nichts mehr heil. Knochenbrüche, Bänderrisse,
Platzwunden, eine einzige Sauerei. Sieht so aus, als hätte jemand Hände und Füße auf einer harten Unterlage fixiert und dann
mit einem schweren, stumpfen Gegenstand zugeschlagen. Ich schätze, mit einem Hammer.«
»Übel, übel!« Böhm pfiff durch die Zähne. »Und das hier?« Der ganze Körper des Toten war mit blauschwarzen Flecken übersät.
»Vergleichsweise harmlos. Hämatome, die wahrscheinlich von Faustschlägen herrühren. Hier oben an der Brust der Abdruck dürfte
von einem Totschläger stammen. Und das hier war wahrscheinlich ein Tritt. Der Mann ist heftig zusammengeschlagen worden. Und
offensichtlich von Leuten, die so etwas nicht zum ersten Mal machen.«
»Also mehrere Täter?«
Schwartz nickte. »Wahrscheinlich. Sein Gesicht haben sie verschont, wie es aussieht. Profis.«
»Berufsverbrecher?«
»Nicht nur die wissen berufsbedingt zuzuschlagen. Auch Boxer. Oder Polizisten«, sagte Dr. Schwartz. Das war genau seine Art
von Humor.
»Was wollen Sie mir also raten?«, fragte Böhm. »Interne Ermittlungen oder eine Fahndung nach Max Schmeling?«
»Spaß beiseite, aber das hier, das waren Sadisten, die haben keine …« Schwartz brach den Satz ab, als sich plötzlich die große
Schwingtür öffnete und zwei zugedeckte Leichen hereingerollt wurden.
»Noch mehr Maileichen?«, fragte Schwartz.
Einer der beiden weißgekittelten Männer, die die Bahren schoben, nickte. »Aus Neukölln. Im Wedding scheint es sich heute gesünder
zu leben, die hatten ihren großen Tag schon.«
»Es sind tote Menschen, über die Sie hier reden, meine Herren!« Die vorwurfsvolle Stimme kam von einem der beiden Männer,
die hinter den Weißkitteln den Raum betreten hatten, einem streng wirkenden hageren Mann in einem zerknitterten grauen Anzug.»Sie sollten den Toten doch etwas mehr Respekt entgegenbringen.«
»Vor allem, wenn es Proleten sind, nicht wahr, Kollege Völcker?«, sagte Schwartz. »Lange nicht gesehen. Was führt Sie denn
in unsere Gemächer?«
»Polizeikugeln«, sagte der Hagere knapp.
Völcker? Der berüchtigte Kommunistendoktor? Böhm verdrehte die Augen.
Völckers groß gewachsener Begleiter mischte sich ein. »Diese beiden Frauen kamen bei Feuergefechten in der Hermannstraße ums
Leben«, sagte er, »wahrscheinlich sind sie von einer verirrten Kugel erwischt worden.«
Noch bevor der Lange seine Dienstmarke zückte, wusste Böhm, dass er einen Kollegen vor sich hatte, obwohl der Mann für einen
Polizeibeamten etwas zu elegant angezogen war. Aber so sprachen nur Bullen. Oder Finanzbeamte.
»Rath, Kommissar Gereon Rath, Inspektion E«, sagte der Polizist. »Wir haben vorhin telefoniert.«
Dr. Schwartz nickte ihm zu und kratzte sich am Kinn.
»Stimmt«, sagte er, »aber das passt jetzt nicht. Ich habe hier mit Oberkommissar Böhm noch eine Besprechung.«
Böhm glaubte, den langen Kommissar aus der Burg zu kennen. Das musste der Neue sein, von dem Lanke in der Kantine erzählt
hatte. Der Karrieregeile, der dem Polizeipräsidenten in den Arsch kroch.
»Inspektion E?«,
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