Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
Kommunisten, das waren für ihn die Auswüchse des Lumpenproletariats, das es in allen größeren Städtengab. Wer in diesem Milieu aufwuchs, hatte kaum eine Chance; er wurde entweder Verbrecher oder Kommunist. Oder beides. Verbrecher,
     Kommunist – für viele Polizisten war das ohnehin ein und dasselbe. Wollten nicht auch Kommunisten stehlen? Bürgern mit Gewalt
     ihren Besitz wegnehmen? Das Strafgesetzbuch nannte so etwas Raub, die Kommune nannte es Revolution. Einen armen Schlucker,
     der in so etwas seine letzte Hoffnung setzte, den konnte Rath noch halbwegs verstehen, umso weniger dagegen die Intellektuellen,
     die die Revolution predigten. Was wollten sie? Ihnen ging es doch gut? Sie waren es, die Raub zur Ideologie erhoben. Solange
     er nur massenhaft erfolgte, konnte man es Revolution nennen und wissenschaftlich begründen. Diese Ideologen widerten Rath
     besonders an, Wirrköpfe, die immer alles besser wussten, die glaubten, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Auch Völcker
     ordnete er in diese Kategorie ein. Den Eindruck eines Wirrkopfes machte der Arzt zwar nicht – umso mehr aber den eines Besserwissers.
    »Waren Sie schon einmal in einem dieser verschimmelten Dreckslöcher, für die man den Arbeitern in dieser Stadt sogar noch
     Geld abknöpft?«, hakte Völcker nach, als Rath schwieg. »Wissen Sie, unter welchen Bedingungen manche Menschen hier leben?
     Leben müssen?«
    Rath ging darauf nicht ein. Er ärgerte sich, ohne Not ein Gespräch mit diesem intellektuellen Schlauberger angefangen zu haben.
     Natürlich kannte er die Mietskasernen in den Arbeitervierteln der Stadt, im Norden, im Osten, im Süden. Wahre Elendsquartiere,
     eine Schande, gar keine Frage. Aber was war damit bewiesen? Das war ein Grund, neue, helle Siedlungen für die Arbeiter zu
     bauen, was ja auch geschah, aber doch kein Grund, Kommunist zu werden! Er kannte die schlimmen Seiten des Fortschritts, die
     Kehrseite der Zivilisation, er kannte sie nur zu gut, er war Polizist. Aber er kannte auch die kommunistischen Agitatoren,
     die den Kampf gegen die Ausbeuter predigten und den Kampf gegen die Polizei meinten. Was sollte in einer Welt besser werden,
     in der solche Großmäuler das Sagen hatten? Er hatte keine Lust, diese Frage mit einem dieser Großmäuler zu diskutieren.
    »Das gibt niemandem das Recht, gegen Gesetze zu verstoßen«, sagte er nur. Er gehörte zur Polizei, und die hatte für Recht
     und Ordnung zu sorgen. Und die Kommunisten? Heute erst hatten sie wieder einmal bewiesen, dass ihnen beides nichts galt.
    »Gegen Gesetze verstoßen?« Völckers Stimme wurde lauter. Rath befürchtete, ihm wider Willen doch Diskussionsstoff geliefert
     zu haben. Der Fahrer des Leichenwagens schaute stur geradeaus. Rath merkte, dass der Mann wieder mehr aufs Gas drückte. Offensichtlich
     wollte er diese Fahrt so schnell wie möglich hinter sich bringen.
    »Was sind das für Gesetze«, fuhr der Arzt fort, »die einem Menschen verbieten, auf die Straße zu gehen, seine Meinung zu vertreten
     und …«
    »… auf Polizisten zu schießen«, ergänzte Rath.
    Völcker schaute ihn böse an. »Die beiden Frauen hinten im Wagen sind jedenfalls nicht von Kommunisten erschossen worden«,
     sagte er. »Das waren Ihre feinen Kollegen!«
    »Wenn Ihre Leute nicht dauernd Gewalt predigen würden, ginge es auf den Straßen friedlicher zu! Dann hätte es in den letzten
     Tagen keine Zwischenfälle gegeben!«
    Auch Rath war lauter geworden. Völcker machte ihn wütend, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Und was ihn am meisten ärgerte:
     Der Arzt hatte wahrscheinlich Recht; das Spitzgeschoss, das er aus dem Holz geklaubt und das Wolter ihm aus der Hand gerissen
     hatte, sah haargenau so aus wie die, die die preußische Schutzpolizei in ihren Karabinern verwendete.
    Rath kannte solche Geschosse. Auch in Köln wurden sie benutzt. Er musste an die Gerichtsverhandlung denken. Die Beweismittel
     auf dem Richtertisch. Ein Karabinergeschoss. Es hatte die Schulter des Amokschützen durchschlagen und hätte wahrscheinlich
     gereicht, ihn außer Gefecht zu setzen, aber getötet hatte es ihn nicht. Tödlich war erst ein anderes Projektil gewesen, eines,
     das genau ins Herz getroffen hatte. Kaliber 7,65. Das ballistische Gutachten hatte zweifelsfrei ergeben, dass es aus der Dienstwaffe
     des Kriminalkommissars Gereon Rath abgefeuert worden war.
    Die Verhandlung in Köln lag nicht einmal ein halbes Jahr zurück. Und nun fuhr derselbe Gereon Rath in

Weitere Kostenlose Bücher