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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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ein weiteres Markstück auf den Tresen.
    Der Barmann ließ das Markstück noch unauffälliger unter seiner Handfläche verschwinden und beugte sich näher.
    »Die Russen hier sind meistens unter sich«, flüsterte er. »Fragen Sie die doch mal.« Mit seinen Augen deutete er eine Richtung
     an. »Dort hinten in der Ecke sollten Sie Ihr Glück versuchen. Aber sagen Sie denen nicht, dass Sie’s von mir wissen.«
    Rath schaute sich um. Am anderen Ende des Saals saßen an zwei benachbarten Tischen rund zehn Männer und keine einzige Frau.
     Er ging langsam durch den Raum, in der einen Hand sein Glas, die andere in der Hosentasche. Die Männerrunde achtete überhaupt
     nicht auf ihn, sie war in eine offensichtlich anregende Diskussion vertieft. Man sprach Russisch.
    »Kleines Treffen der Heimatvertriebenen?«, fragte Rath und erntete böse Blicke. Das Gespräch verstummte augenblicklich.
    »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte er, zeigte die Blechmarke an seiner Weste und brachte seinen Spruch: »Kriminalpolizei.
     Ich bräuchte von Ihnen ein paar Auskünfte über einen Landsmann.«
    Rath holte das Foto aus dem Jackett und hielt es einem blonden Jüngling unter die Nase. »Kennen Sie diesen Mann?«, fragte
     er. »Alexej Iwanowitsch Kardakow.«
    Der Mann schaute ihn mit großen blauen Augen an, als habe er kein Wort verstanden. Und trotzdem sah er so aus, als wisse er
     genau, um was es ging.
    Am Nebentisch standen zwei Männer auf. Das Gesicht des einen war durch eine lange Narbe entstellt, die quer über die ganze
     Wange ging. Ein Schmiss war das nicht, das sah nach einer schlimmeren Wunde aus. Er warf einen Blick auf das großformatige
     Foto.
    »Niemand hier kennt diesen Mann«, sagte das Narbengesicht.
    Rath wusste, dass der Mann log, noch bevor der seinen Satz überhaupt zu Ende gesprochen hatte.
    »Oh, sind Sie da ganz sicher?« Er deutete auf den Blonden. »Ihr Freund hier hat meine Frage noch gar nicht verstanden. Wären
     Sie so liebenswürdig, zu übersetzen?«
    »Nicht nötig, er hat Sie verstanden.« Der Russe plusterte sichauf. Unter dem schwarzen Anzugstoff sah Rath starke Muskeln spielen. Die wollten nicht nur spielen. »Und nun darf ich Sie
     bitten, uns in Frieden zu lassen«, fuhr das Narbengesicht fort. »Wir Russen leben hier unter uns, wir regeln unsere Angelegenheiten
     selbst. Und wir mögen es nicht, wenn Deutsche sich in unsere Dinge mischen.«
    »Ich mische mit, wo immer es mir passt«, erwiderte Rath, mit dem provozierendsten Tonfall, den er in diesem Moment zustande
     brachte.
    Einen kurzen Moment befürchtete er, der Russe würde explodieren. Das Gesicht lief rot an, die Narbe sogar violett.
    »Sie haben Glück, dass Sie Polizist sind«, sagte das Narbengesicht, »wir respektieren die Ordnungskräfte. Ansonsten würden
     Sie jetzt in Schwierigkeiten stecken.« Er machte eine theatralische Pause. »In großen Schwierigkeiten. So redet niemand mit
     mir. Ich kann mir Gesichter gut merken. Beten Sie, dass Sie mir nie privat begegnen.«
    »Ich bin immer im Dienst.«
    »Ein guter Polizist trinkt nicht im Dienst«, sagte der Russe und zeigte auf das Glas in Raths Hand.
    »Dann bin ich vielleicht ein böser Polizist«, meinte Rath und trank einen Schluck. So lächerlich dieses Platzhirschgebaren
     war, er sah nicht ein, vor diesem Muskelaffen den Schwanz einzuziehen.
    Doch der wurde jetzt freundlicher. Er warf einen Blick auf das Foto, nahm es Rath aus der Hand und tat interessiert.
    »Wir würden Ihnen wirklich gern helfen, aber wie ich schon sagte: Diesen Mann hat keiner von uns gesehen.«
    »Das würde ich Ihre Freunde gern selber fragen«, sagte Rath und zog eine Overstolz aus der Schachtel.
    »Nicht nötig. Die würden alle dasselbe sagen.« Der Russe zog dienstfertig ein Streichholzbriefchen und gab ihm Feuer.
    Ein Blick in die Runde zeigte Rath, dass das Narbengesicht Recht hatte: Die würden alle dasselbe sagen.
    »Sie können das Foto behalten«, sagte er, als seine Zigarettebrannte. »Falls Ihnen doch noch etwas einfallen sollte. Man weiß ja nie.« Er trank seinen Americano aus und stellte das Glas
     auf den Tisch. Zwischen lauter Wodkagläser. »Ich bin öfters hier. Man sieht sich.«
    Damit drehte er sich um und ließ die Russen stehen. Zum ersten Mal heute Abend war er sich sicher, auf Menschen gestoßen zu
     sein, die Alexej Iwanowitsch Kardakow kannten. Auch wenn sie ihm das niemals verraten würden. In diesem Fall konnte er dem
     Narbengesicht wohl glauben: Niemand in dieser

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