Der nasse Fisch
Runde würde der deutschen Polizei gegenüber den Mund aufmachen. Zumindest nicht,
solange einer der beiden Muskelrussen in der Nähe war.
Aber das war Rath egal. Als er vor dem Kakadu stand, musste er gähnen. Doch trotz seiner Müdigkeit war er bester Laune, als er sich auf den Weg zurück in die Nürnberger
Straße machte. Er hatte Blut geleckt, er hatte endlich einen winzig kleinen Anhaltspunkt. Und er wusste jetzt auch, wo er
seine Suche fortsetzen musste. Conditorei Café Berlin. Die Werbeaufschrift auf dem Streichholzbriefchen.
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9
A ls Rath am Samstagmorgen ins Büro kam, ein wenig verkatert, ein wenig verspätet und reichlich übermüdet, saß Wolter bereits
an seinem Platz und hämmerte auf die Schreibmaschine ein. Die Typenhebel knallten wie Pistolenschüsse auf das Papier.
»Morgen«, sagte Rath und hängte Mantel und Hut an den Garderobenständer neben der Tür.
Der Onkel schaute nur kurz auf und zog eine Augenbraue hoch. »Morgen«, erwiderte er den Gruß. »Gestern ein bisschen zu lange
unterwegs?«
»Ein bisschen«, antwortete Rath. »Stephan noch nicht da?«
»Kommt heute nicht. Die Politischen riefen eben an.« DieSchreibmaschine klapperte weiter, während Wolter redete. »Die IA braucht ihn noch.«
»Und unsere Ermittlungen?«
»Nicht heute. Die Sitte hat zu warten. Wir sind weiterhin politisch tätig.« Wolter tippte weiter, und man sah ihm an, dass
es ihm nicht passte. Samstags war Schmittchen nicht da, Lieselotte Schmitt, ihre Sekretärin, die sonst den größten Teil der
Schreibarbeiten erledigte. »Ist ja fast so was wie eine Mordermittlung. Müsste dir doch eigentlich Spaß machen.«
Rath überhörte die Anspielung. »Also kann ich jetzt erst mal meine gestrigen Abenteuer zu Papier bringen?«
»Bitte schön. Die preußische Polizei ist in dieser Hinsicht bestens ausgestattet.« Wolter deutete auf Raths Schreibtisch,
auf dem, gut verhüllt, eine Schreibmaschine stand. »Wusstest du, dass wir mehr Schreibmaschinen als Waffen in unseren Inventarlisten
stehen haben?«
»Nur die Kripo oder die gesamte Polizei?«
Wolter zuckte mit den Schultern. »In Deutschland würde es mich nicht wundern, wenn selbst die Reichswehr mehr Schreibmaschinen
als Kanonen hat.«
Rath setzte sich an seinen Schreibtisch und nahm die Schutzhülle von der Adler . Vorkriegsmodell. Die schwarze Maschine starrte ihn an wie ein feindseliges Insekt.
»Hast du unseren freundlichen Kommunistendoktor gestern denn zufriedenstellen können?«, fragte der Onkel, ohne von seinen
Tasten aufzusehen.
»Völcker hört die Signale«, antwortete Rath nur und suchte in den Schubladen nach Papier.
»Der ist gut.« Wolter lachte. Tatsächlich. Endlich unterbrach er sein Getippe.
»Ist nicht von mir. Dr. Schwartz. Der kennt den roten Doktor schon seit gemeinsamen Studienzeiten.«
»Und was sagt Dr. Schwartz sonst noch? Hat Völcker ihn in Ruhe arbeiten lassen?«
Rath nickte. »Mehr oder weniger. Am Anfang hat er die empörte kommunistische Nervensäge gespielt. Doch während der Untersuchung blieb er erstaunlich friedlich. Selbst dass Schwartz
ihn ununterbrochen aufgezogen hat, schien ihn nicht zu stören.«
»Natürlich nicht. Solche Leute stört das nie. Deshalb sind sie so geworden, wie sie sind.«
»Mag sein. Aber mit dem Ergebnis kann Völcker auch zufrieden sein. Genau so, wie es ihm in den Kram passt: Ein einziges Geschoss hat tatsächlich gereicht, um beide Frauen zu töten. Es hat die Brust der jüngeren durchschlagen und dabei
das Herz verletzt. Die Ältere wurde nur in die Schulter getroffen und starb an Herzversagen. Wahrscheinlich der Schreck.«
Der Onkel machte ein angewidertes Gesicht. »Was mich am meisten ärgert, ist, dass die Kommunisten aus so etwas noch Kapital
schlagen. Und das nur, weil die Sozis zu blöd sind, solch eine Aktion anständig zu planen.« Er riss das Blatt Papier aus der
Maschine. »Vielleicht hilft uns das ja halbwegs aus der Klemme«, sagte er und wedelte mit dem Papier durch die Luft. »Wer
sagt denn, dass es nicht doch eine Kommunistenkugel war. Jedenfalls keine Polizeikugel.«
»Dein Bericht?«, fragte Rath. »Schon fertig?«
Wolter nickte. »Wündischs Leute wollen doch alles am liebsten sofort auf dem Tisch haben.« Regierungsdirektor Wündisch leitete
die Politische Polizei. Seine Abteilung IA untersuchte auch die Todesfälle während der Maieinsätze. Rath überflog das Papier.
Ein Prunkstück polizeilichen Berichtswesens. Knapp,
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