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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Zigarette aus der neuen Packung anzündete. »War vielleicht keine gute Idee,
     sich ausgerechnet hier zu verabreden. Schlechtes Omen.« Er deutete auf die rot-weißen Bretter. »Da isser doch durch, oder?«
    Der Dicke nickte. »Eigentlich ja schön, dass meine Ecke auch mal in die Zeitung kommt. Aber umsatzsteigernd hat sich das noch
     nicht ausgewirkt.«
    »Keine Heerscharen von Schaulustigen und Journalisten?«
    »Nee, bislang nur ein paar Bullen, aber die kaufen nix, die fragen nur.«
    Der Kioskbetreiber schien ihn nicht für einen Bullen zu halten, sonst hätte er das wohl nicht gesagt. Gut so. Rath wollte
     hier nicht als Polizist aufkreuzen, Böhms Leute könnten sonst Wind davon bekommen, dass einer von der Sitte in ihrem Revier
     unterwegs ist, und das musste nicht sein. Die Marke, die er sonst an seiner Weste trug, hatte er in der Bahn in die Manteltasche
     gesteckt. »Haben Sie denn was gesehen?«, fragte er und hoffte, mit dieser direkten Frage keinen Verdacht zu erregen.
    Doch der Dicke blieb redselig. »Das ist doch mitten in der Nacht passiert, und ich schließe schon um sechse«, sagte er. »Aber
     am nächsten Morgen gegen fünf, als ich wieder aufmachen wollte, standen immer noch zwei Schupos da in der Gegend rum und taten
     so, als bewachten sie etwas. Die Kriminalen vom Alex kamen erst viel später. Haben mir ganz schöne Löcher in den Bauch gefragt,
     dafür, dass ich eigentlich gar nichts gesehen habe.«
    »Aber Sie kriegen hier viel mit, oder?«
    Die schweren Schultern zuckten. »Kann schon sein. Hier kommen ja auch ’ne Menge Leute vorbei.«
    »Eine gute Beobachtungsgabe haben Sie jedenfalls.« Rath nahm einen tiefen Zug. Mal schauen, wie der Dicke auf Schmeicheleien
     reagierte. »Ich bin Ihnen ja auch gleich aufgefallen.«
    »Man muss die Leute im Blick haben. Gibt immer mal wiedereinen, der was klauen will. ’Nem Kollegen von mir am Schlesischen Bahnhof ham sie sogar mal die Bude überm Kopf angezündet.
     Während der drinstand. Benzin uff die Zeitungen, Streichholz und auf Wiedersehen. ’Ne Hand voll Rotzlöffel, höchstens fuffzehn
     oder sechzehn. Und geschnappt haben die Bullen keinen einzigen. Kein Wunder, der Norden hatte die Jungs geschickt, der Kiosk lag in seinem Gebiet, und der Mann da drin passte ihm wohl nicht. Ich hab keinen Ärger
     mit ’nem Ringverein, aber aufpassen muss ich trotzdem.«
    Rath nickte. Der Ringverein Norden hatte vor kurzem noch Schlagzeilen gemacht. Nach einer blutigen Massenschlägerei in der Breslauer Straße, bei der ein Hamburger
     Zimmermann erstochen worden war, hatte der Polizeipräsident zwei Zuhältervereine verboten, einer davon war der Norden . Bei solchen Exzessen griff die Polizei hart durch, normalerweise aber tolerierte sie die Ringvereine, die angeblich Ex-Häftlingen
     beim Wiedereinstieg in die Gesellschaft halfen, in Wirklichkeit aber die ungewöhnlichen Fähigkeiten ihrer zahlenden Mitglieder
     recht gewinnbringend einzusetzen wussten. Kurz: Die Ringvereine regelten das organisierte Verbrechen in Berlin, hatten die
     Stadt in Reviere aufgeteilt. Solange die Vereine sich kooperativ zeigten und an bestimmte Regeln hielten, unternahm die Polizei
     nichts, denn die Selbstorganisation der Unterwelt erleichterte auch deren Kontrolle, und Exzesse wie in der Breslauer Straße
     waren selten. Mord war ein Verbrechen, das gegen den Ehrenkodex der Ringvereine verstieß. Allerdings hielten sich einige der
     neuen Vereine, von den alteingesessenen als Rattenvereine beschimpft, auch an diese Regeln nicht mehr so genau. Die Zeiten
     waren eben härter geworden.
    »Gibt’s hier denn überhaupt einen Ringverein?«, fragte Rath den Dicken. »Ich dachte, so was gibt’s nur im Osten.«
    »Glauben Sie nicht, dass es in Kreuzberg kein Verbrechen gibt, mein Freund!« Der Mann beugte sich ein wenig nach vorne, ein
     kleines Stück nur, weil er sonst wahrscheinlich vom Stuhl gefallen wäre, wie Rath vermutete, aber das reichte, um ihn wie
     einen Verschwörer aussehen zu lassen, zumal er nun flüsterte. »Ich möchtezum Beispiel nicht wissen, wie viel Diebesgut Tag für Tag da hinten auf dem Anhalter Bahnhof verschoben wird. Fragen Sie mal
     einen Arbeiter, was für zwielichtige Gestalten auf einem Güterbahnhof so rumlaufen!«
    »Na ja, aber meinen Sie, dass das mit dem Mord hier zu tun haben könnte?« Rath deutete auf die kaputte Uferbegrenzung.
    »Sie werden lachen! Genau das haben die Kriminalen mich auch gefragt!«
    Rath wollte gerade nachhaken, da

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