Der nasse Fisch
macht die Bahn solchen Lärm. Da kriegen wir nicht mit, wat auf der Stra…« Sie hielt inne.
»Moment! Im Hof hat’s letztens mal Krach jejeben nachts. Da hat einer rumjebrüllt, dass wir aus dem Bett jefallen sind. Hermann
wollte schon einjreifen. Die Krakeeler waren dann aber weg, als er draußen war. Da hatte wohl schon jemand anderes für Ordnung
jesorgt. Suchen Sie den Kardakow deswegen, ham sich welche aus’m Haus beschwert? Die hätten doch ooch zu uns kommen können,
det hätte Hermann schon jerejelt.«
»Da müssen sich zwei Russen gestritten haben«, hakte Rath nach.
»Der eene war’n Russe, stimmt. Aber der andere war’n Deutscher.«
»Ein Deutscher? Sind Sie sicher?«
»Janz sicher. Det war doch der, der da für Ruhe gesorgt hat. Natürlich war das der Deutsche!«
»Und wann war das?«
Sie überlegte kurz. »Keine Ahnung. So Montag oder Dienstag, glaube ich. Irjendwann Anfang der Woche.«
Ihr Blick fiel auf die Wanduhr. »So.« Sie stand auf. »Und nun muss ick Sie bitten zu jehen. Mit dem Hausputz bin ick noch
nich durch, und kochen muss ick ooch noch.« Rath wunderte sich, wie schnell sie aus den Polstern kam. Er hatte größere Mühe
mit seinem Sessel, in dem er beinah ertrunken wäre. »Sie sollten sich mal im Hinterhaus umsehen«, rief sie ihm noch hinterher,
»um die Liebigs sollte die Polizei sich mal kümmern.«
Als er wieder draußen war, ging er tatsächlich zum ersten Hinterhaus. Seine Neugier galt weniger der Familie Liebig als einem
offenbar unsichtbaren Herrn. Im Hof holte er erst einmal tief Luft, froh, den schneidenden Putzmitteldüften entkommen zu sein.
Die Teppichstange war verwaist, der Hof menschenleer, als habe sich herumgesprochen, dass Polizei im Haus war. Im zweiten
Hof hörte er eine Kreissäge.
Die Briefkästen am Hinterhaus zeigten ihm, dass dort tatsächlich ein Herr Müller wohnte. Sollte sich Kardakow den banalsten
aller deutschen Namen zugelegt haben? Oder wohnte hier doch nur ein Nachtwächter der Osram-Werke? Rath ging die Treppe hinauf
in den ersten Stock und schellte. In der Wohnung blieb alles ruhig. Er horchte an der Tür. Kein Laut. Der lässt sich den ganzen Tag nicht blicken , hatte die dicke Portiersfrau gesagt. Rath schaute auf die Uhr. Fast halb fünf. Da musste auch ein Nachtarbeiter längst auf
den Beinen sein. Doch auch nach wiederholtem Sturmklingeln tat sich nichts. Das Einzige, was Rath in der Wohnung hörte, war
die Klingel. Entweder war Herr Müller taub oder nicht zu Hause.
Wo er nun schon einmal im Treppenhaus war, ging er noch eine Etage höher und klingelte bei Liebig . Aber auch da blieb alles still.
Als er wieder auf der Straße stand, zündete er sich eine Zigarette an, um besser nachdenken zu können. Er wollte das Streichholzvor dem Haus auf die Straße schnippen, ließ es aber sein, als er hinter einem Erdgeschossfenster die Konturen eines dicken
Kopfes bemerkte. Frau Schäffner war so neugierig, wie er es von ihr erwartet hatte. Umso seltsamer, dass sie Herrn Müller
noch nie gesehen hatte. Rath tippte grüßend an seinen Hut und freute sich, als der dicke Kopf zurückzuckte.
Irgendetwas stimmte mit dieser Adresse nicht. Er würde dem Haus am Luisenufer noch einen Besuch abstatten, er musste wissen,
wer sich hinter diesem unsichtbaren Herrn Müller verbarg. Entweder sprach der mit russischem Akzent, oder aber Kardakow hatte
Elisabeth Behnke ganz einfach eine falsche Adresse hinterlassen. Was auch immer zutraf, eines stand fest: Alexej Iwanowitsch
Kardakow war abgetaucht, er wollte nicht gefunden werden. Dass dazu allerdings allein Mietschulden geführt hatten, das mochte
Rath nicht mehr glauben. Nicht, nachdem man einen Toten aus dem Kanal gefischt hatte. Das Verschwinden des einen Russen und
der Tod des anderen hatten miteinander zu tun.
Und dann war da noch eine andere Ungereimtheit. Rath fragte sich, ob er Herrn Müller womöglich doch schon einmal zu Gesicht
bekommen hatte. Ein kleiner Mann mit einem zu groß wirkenden Hut. Der Mann, der ihm bei seinem ersten Besuch von einem Streit
zweier Russen berichtet hatte. Frau Schäffner dagegen hatte felsenfest behauptet, ein Russe habe sich mit einem Deutschen
gestritten. Wer sagte die Wahrheit?
An dem nächtlichen Lärm jedenfalls schien etwas dran zu sein. Boris hatte auch hier am Luisenufer nach Kardakow gesucht. Die
Frage war nur: Hatte er ihn gefunden? Davon war Rath bei seinem ersten Besuch in diesem Haus noch ausgegangen,
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