Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
sah er sie. Wie aufs Stichwort waren zwei Gestalten auf die Straße getreten, zwei Kriminale,
     wie der Dicke sie genannt hätte. Aus einem der Häuser, vor denen er vor wenigen Minuten noch selbst gestanden hatte. Das eine
     war ein Kriminalassistent aus der Inspektion A, dessen Namen er nicht kannte, das andere war eine Frau. Keine Kriminalbeamtin,
     eine Stenotypistin.
    Charlotte Ritter. Ausgerechnet!
    Rath verzog sich hinter den Zeitungsständer und blätterte durch die Zeitungen, ohne wirklich hinzuschauen. Die beiden hatte
     Böhm von der Leine gelassen, keine Frage. Besser, wenn sie ihn nicht entdeckten. »Steht hier irgendwas über den Toten im Kanal?«,
     fragte er den Dicken, um seinen Schrecken zu überspielen, und trat die Zigarette aus.
    »Nehmen Sie besser das Tageblatt «, empfahl der. »Das ist informativer.«
    Rath schaute auf die Zeitung, die er in den Händen hielt. Der Angriff . Ein Hetzblatt der Völkischen, das den Vizepolizeichef regelmäßig diffamierte. Dr. Bernhard Weiß war Jude. Einen anderen
     Grund brauchte der Angriff nicht für seine Attacken gegen den besten Kriminalisten der Berliner Polizei. Nur weil Weiß kein Sozi war, saß er nicht selbst
     auf dem Stuhl des Polizeipräsidenten. Vielleicht gab es auch andere Gründe. Nicht nur die Völkischen hatten etwas gegen Juden,
     aber sie waren die Einzigen, die mit ihrem Judenhass hausieren gingen.
    Der Dicke hielt ihm ein Exemplar des Berliner Tageblatts entgegen, und Rath griff zu, immer noch das Pärchen im Blick, das aufdie Möckernstraße zuging. Er würde die Zeitung kaufen, um keinen Verdacht zu erregen, obwohl er sie vorhin im Café bereits
     gelesen hatte. Umständlich suchte er nach seinem Portemonnaie, beide Zeitungen unter den Arm geklemmt, die liberale und die
     völkische. Als er die Augen wieder hob, sah er den Kriminalassistenten über die Möckernbrücke zur Bahn gehen. Allein. Wo war
     seine Begleiterin?
    »Fuffzehn Pfennige«, sagte der Dicke. Rath suchte nach Kleingeld. Er fühlte sich unwohl. Wie sollte er ihr aus dem Weg gehen,
     wenn er nicht wusste, wohin sie gegangen war?
    Und dann hatte sich die Frage erübrigt. Zuerst sah er nur ihren Mantel und ihre schlanken Knöchel unter dem Zeitungsständer
     näherkommen, dann stand sie in Gänze vor ihm. Ihre Augen waren noch dunkler, als er sie in Erinnerung hatte.
    Sie wirkte überraschter als er. Kein Wunder, er hatte ja Zeit gehabt, sich auf die Begegnung vorzubereiten. Vier Sekunden
     ungefähr. Aber das reichte, um sich wenigstens halbwegs in den Griff zu bekommen. Und vielleicht sogar die Situation.
    »Oh, was für eine Überraschung«, sagte Rath, legte Zeitungen und Portemonnaie dem Dicken vor die Nase auf den Verkaufstresen
     und lüftete seinen Hut. »Wohnen Sie hier in der Gegend?« Sie erst mal in die Defensive bringen, damit sie gar nicht erst auf
     die Idee kommt, selber Fragen zu stellen.
    »Ich bin dienstlich hier«, antwortete sie brav.
    »Die Dame ist bei der Polizei«, soufflierte der Dicke.
    »Das weiß der Herr, er ist auch bei der Polizei.«
    Rath schaute den Dicken an, dem diese Neuigkeit sichtlich unangenehm war.
    »Könnte ich eine Packung Juno haben?«, fuhr sie fort, und der dicke Oberkörper drehte sich wieder um zum Zigarettenregal.
     »Interessante Mischung«, sagte sie zu Rath.
    Er musste sie ziemlich begriffsstutzig angeschaut haben. Sie lächelte, und ihr Grübchen hätte ihn beinah noch mehr aus der
     Fassung gebracht.
    »Ihre Zeitungslektüre«, erklärte sie.
    In der Tat, der Angriff und das Berliner Tageblatt , wie sie da so einträchtig auf dem Tresen lagen, das passte nicht ganz zusammen.
    »Ich brauche nur eine davon«, sagte er.
    »Ich hoffe, die richtige.«
    Er legte zwei Groschen auf den Tresen und nahm das Tageblatt . Er war nicht politisch, aber sollte sie ihn ruhig für einen Liberalen halten. Besser als für einen Völkischen. Oder für
     einen Sozi, denn als solchen hatte ihn die Gerüchteküche in der Burg abgestempelt, als durchgesickert war, dass Zörgiebel
     ihn protegiert hatte. Der Dicke im Kiosk hatte sich inzwischen wieder herumgedreht.
    »Juno muss ick erst holen«, sagte er. Und tatsächlich schaffte er es, von seinem Stuhl aufzustehen. Er ging nach hinten, wo
     offensichtlich seine Vorräte lagerten. Rath staunte, dass sich der Mann in dem engen Bretterhäuschen überhaupt bewegen konnte.
     Er war froh, mit Charlotte Ritter allein zu sein.
    »Machen in der Inspektion A auch die Stenotypistinnen Überstunden?«,

Weitere Kostenlose Bücher