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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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das Heft und warf einen Blick auf das Foto.
    »Oh ja! Die ist hier mal aufgetreten. Eine von Schneids Künstlerinnen.« Er gab ihm das Programmheft zurück. »Aber hier werden
     bald andere Pächter einziehen. Und dann wird es auch ein anderes Programm geben.«
    »Das Programm ist mir ziemlich gleichgültig. Ich muss diese Frau sprechen. Ich ermittle in einem Kriminalfall.«
    »Tut mir leid. Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
    »Wo finde ich denn Herrn Schneid?«
    Der Mann zuckte die Achseln. »In seinem alten Büro im Delphi jedenfalls nicht. Gegen ihn läuft ein Konkursverfahren.« Er klimperte mit einem Schlüsselbund. »Die Schlüssel habe ich.«
    »Vielleicht können Sie mich in sein Büro führen.«
    Rath fühlte sich etwas unwohl, als er Felten durch den riesigen Saal folgte, der tatsächlich wie ein Palast wirkte, üppig
     undschwülstig dekoriert. Eine leichte Staubschicht hatte sich auf die Pracht gelegt, kaum wahrnehmbar, aber den Eindruck von
     Verfall vermittelnd.
    Felten schien seine Gedanken erraten zu haben. »Bald werden wir wieder Leben in der Bude haben«, sagte er und deutete auf
     ein Gerüst an der Längswand, »die Arbeiten haben schon begonnen.«
    Sie kamen an einer unauffälligen Tür vorbei, die einen Spalt weit offen stand. Mit einer beiläufigen Handbewegung schlug Felten
     sie zu.
    »Wo geht’s da hin?«, fragte Rath.
    »Nur die Kellertreppe. Schneid hat sein Büro oben«, sagte Felten und verbesserte sich gleich: »Hatte.«
    Er führte ihn nach rechts und dann eine Treppe hinauf. Vor einer schweren dunklen Tür blieben sie stehen. Felten suchte nach
     dem passenden Schlüssel.
    »Sie können hier einfach rein und raus?« Rath wunderte sich.
    »Kein Problem.« Felten grinste und schloss auf. »Der Konkursverwalter ist ein alter Studienfreund von Herrn Sehring.«
    Im Büro war es dunkel.
    »Kein Strom«, entschuldigte sich Felten. Er griff zielsicher in einen Wandschrank, holte eine Kerze heraus und zündete sie
     an. Gelbes Licht flackerte über einen schweren dunklen Schreibtisch und einen Lederstuhl. Rath hatte die Künstlerkartei schnell
     gefunden. Jede Menge Musiker waren dort vermerkt, Sänger, Sängerinnen und Tanzartisten. Mit Adressen, Künstlernamen, besonderen
     Fähigkeiten und der Höhe der ausgehandelten Gage. Aber keine Lana Nikoros. In einer Schreibtischschublade lagen noch die Visitenkarten
     von Josef Schneid. Rath steckte eine ein. Felten passte auf, dass alles wieder an seinen Platz kam, bevor er abschloss. Dann
     begleitete er Rath nach draußen.
    »Sie sollten mal kommen, wenn wir wiedereröffnen, das lohnt sich bestimmt«, sagte er und fügte schnell hinzu. »Ich meine natürlich
     als Privatmann.«
    Rath war froh, den Mann losgeworden zu sein, auch als Privatmann. Er stieg wieder in den Wagen und schaute sich die Visitenkarte an. Neben der Geschäftsadresse Kantstraße war dort auch
     die Privatadresse von Josef Schneid angegeben.
    Nach dem langen, kalten Winter schien der Mai endlich angenehmere Temperaturen zu bringen. Rath fuhr mit offenem Verdeck durch
     die Budapester Straße und ließ sich den Wind um die Nase wehen. Die ersten Bäume im Tiergarten trugen wieder zartes Grün.
     Der Frühling ließ sich nicht beirren von der grauen Stadt und ihren kalten Steinmassen. So ein Auto war schon eine feine Sache,
     allerdings nicht gerade billig. Er musste Bruno mal fragen, wie der sich den Ford leisten konnte. Soweit Rath wusste, konnte
     er die dienstlichen Einsätze seines Privatwagens irgendwie steuerlich geltend machen. Es gab Kollegen, die Bruno den Luxus
     eines eigenen Autos missgönnten. Einige munkelten, Emmi Wolter hätte Geld mit in die Ehe gebracht. Die Besoldung der Kriminalpolizei
     jedenfalls fiel eher bescheiden aus. Auch für einen Oberkommissar – und für einen einfachen Kriminalkommissar erst recht.
     Und eine reiche Frau hatte Rath auch nicht an der Hand. Aber immerhin einen Nachbarn mit Auto.
    Die Tiergartenstraße war eine gute Adresse. Links das Grün des Parks, rechts Häuser mit protzigen Fassaden. Der alte Westen.
     Seine große Zeit war vorbei. Heute bauten die, die es sich leisten konnten, ihre Villen weit draußen, im Grunewald. Rath achtete
     mehr auf die Hausnummern als auf den Stuck. Kurz vor dem Kemperplatz parkte er den Buick unter einem Baum. Er musste ein paar
     Meter zurücklaufen, bis er an der richtigen Adresse war.
    Schneids Haus trug derart viel Stuck an der Fassade, dass es aussah, als müssten sich die Gipsengel

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