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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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dort oben prügeln, um
     ihren Platz nicht zu verlieren. Rath hatte Glück, der Hausherr war da. Ein Diener führte ihn in einen Salon, der der Fassade
     in nichts nachstand. Vom Pleitegeier war hier wenig zu spüren. Rath musste nicht lange warten, da erschien auch Josef Schneid
     persönlich, gestützt auf einen Stock, eine eindrucksvolle Gestalt im Hausmantel und mit einem altmodischen Bart.
    »Lana Nikoros? Natürlich kenne ich die. Die habe ich Fritzabgejagt. Schade, dass wir vorübergehend schließen mussten, ich fürchte, sie ist zu ihm zurückgekehrt. Aber genau kann ich
     Ihnen das nicht sagen. Dieser Kleinkrieg, den Sehring mir aufgezwungen hat, nimmt mich derzeit ganz in Anspruch, fragen Sie
     mich nicht, wo meine Künstler sind. Die hat er alle vor die Tür gesetzt, ebenso das Personal. Den Konkurs hat er doch nur
     inszeniert, weil er mich loswerden will. Stehe seinem neuen Pächter im Weg.«
    »Fritz?«
    »Buschmann. Der betreibt mehrere Varietés in der Stadt. Und ein paar Tanzcafés. Sie sollten nur das Berliner Nachtleben genau
     studieren, dann werden Sie Lana schon finden.« Schneid spielte am Silberknauf seines Spazierstocks.
    »Haben Sie vielleicht eine Adresse für mich?«
    »Eine Adresse? Nein. Ich habe sie zusammen mit der Kapelle bekommen, und über die Kapelle habe ich sie auch bezahlt.«
    »Welche Kapelle?«
    »Russen. Aber die spielten einen Jazz, sag ich Ihnen! Wie die Neger aus dem Cotton Club! Ilja Tretschkow heißt der Chef, ein
     Trompeter. Wenn Sie den finden, dann finden Sie auch Lana.«
    »Dann ist sie also Russin?«
    »Ja, was dachten Sie denn?«
    Rath schaute auf die Uhr, als er wieder auf der Straße stand. Er hatte noch Zeit. Wenn er nun schon einmal mit dem Auto unterwegs
     war, wollte er das auch nutzen.
    Erst gut eine Stunde später stellte er den Buick im Lichthof des Polizeipräsidiums ab. Er hatte eine Menge Kilometer verfahren,
     doch mehr als eine Spritztour durch Berlin war dabei eigentlich nicht herausgekommen. Zuerst war er noch einmal an der Möckernbrücke
     gewesen und langsam am Tempelhofer Ufer entlanggefahren, ohne genau zu wissen, was er dort suchte. Insgeheim hatte er wohl
     gehofft, Kardakow dort zufällig zu sehen. Aber unter den Sonntagsspaziergängern, die sich die Unfallstelle interessiert anschauten,
     entdeckte er kein bekanntes Gesicht, nicht mal eines aus der Burg. Nicht mehr lange, dann war das hier kein Tatort mehr, dann
     wardas nur noch eine kaputte Stelle in der Uferbegrenzung, deren Reparatur die Stadtverwaltung möglichst lange vor sich herschieben
     würde.
    Und dann war er in den Osten gefahren. Über die Schillingbrücke mitten ins Stralauer Viertel, ins Zentrum von Friedrichshain.
     Er hatte es nicht gewagt, am Küstriner Platz auszusteigen. Das war keine Gegend, in der man einen sandfarbenen amerikanischen
     Sportwagen einfach so parkte und dann erwarten konnte, ihn bei der Rückkehr heil wieder vorzufinden. Oder überhaupt wieder
     vorzufinden. Das Viertel rund um den Schlesischen Bahnhof gehörte zu den verrufensten der Stadt. Schupos trauten sich nur
     in Kleingruppenstärke auf die Straße. Und die Kriminalen versuchten, möglichst nicht als solche aufzufallen. Das Viertel war
     fest in der Hand des Verbrechens, die Polizei konnte da nicht viel ausrichten, sie überließ es den Ringvereinen, eine gewisse
     Ordnung aufrechtzuerhalten.
    Das Plaza war einmal ein Bahnhof gewesen. Doch Züge hatten hier schon über vierzig Jahre nicht mehr gehalten, seitdem wurden die alten
     Gebäude des früheren Ostbahnhofs als Lager genutzt. Bis Jules Marx die große Bahnhofshalle am Küstriner Platz zu einem Varieté
     umbaute, das fast dreitausend Zuschauer fasste. Erst Anfang des Jahres hatte es eröffnet. Rath hatte zunächst die Längsseite
     des großen Gebäudes erkundet, die Straße hieß immer noch Am Ostbahnhof . Offensichtlich war nur der vordere Teil zum Varieté umgebaut worden, dort hinten gab es immer noch Lagerhallen, zum Teil
     reichlich runtergekommen. Dann war er langsam an der frisch renovierten Bahnhofsfassade entlanggefahren. Die großen Leuchtbuchstaben,
     die den Namen Plaza formten, waren noch ausgeschaltet. Bunte Plakate am Haupteingang versprachen ein Programm zum Thema Wilder Westen . Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, wie Rath fand. In Berlin war der Osten wilder als der Westen.
    Von Johann Marlow keine Spur. Den findest du nicht, der findet dich. Rath hatte an Glorias Worte denken müssen. Er wusste ja nicht

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