Der nasse Fisch
An der Garderobe im
Flur hingen viele Mäntel, darunter zwei Uniformmäntel der Reichswehr. Weiter hinten in der Wohnung hörte man das Durcheinander
vieler Stimmen und das Klirren von Gläsern. Ein Plattenspieler dudelte Schlager.
»Geben Sie mir Hut und Mantel«, sagte Emmi Wolter.
»Danke.«
Sie legte den Blumenstrauß kurz beiseite, als sie ihm aus dem Mantel half.
»Gehen Sie immer dem Krach nach«, sagte sie. »Männer mögen es nun einmal laut. Ihr Kollege, der junge Herr Jänicke, ist auch
schon da.«
Der Frischling auch? Damit hatte Rath nicht gerechnet. Jänickes Verhältnis zu Bruno war nicht unbedingt freundschaftlich zu
nennen. Aber wahrscheinlich wollte der Onkel den Dritten in ihrer Truppe nicht einfach ausschließen. Er selbst hätte es wahrscheinlich
genauso gemacht, dachte Rath.
Emmi Wolter ging eilig voran und öffnete die Tür. »Bitte sehr. Ich stelle erst einmal die Blumen ins Wasser. Was darf ich
Ihnen anbieten?«
»Einen Cognac bitte.«
Dichter Zigarettenqualm hing in dem großen Salon, den er betrat. Gut ein Dutzend Männer bevölkerten den Raum. Nur ein paar Freunde. Stephan konnte er nirgends entdecken. Bruno stand mitzwei Reichswehroffizieren und einem Zivilisten zusammen und redete mit ernstem Gesicht auf seine Gesprächspartner ein. Als
er Rath erblickte, hellten sich seine Züge auf. Er breitete die Arme aus und kam auf ihn zu.
»Gereon! Schön, dass du gekommen bist!«
»Na, so oft hat man ja nicht Gelegenheit, einem Kollegen die Vorräte wegzutrinken.«
Bruno lachte. »Komm mit, ich muss dich ein paar Freunden vorstellen. Stephan ist auch da, aber keine Ahnung, wo der sich gerade
rumtreibt.« Er führte ihn zu den drei Männern, bei denen er zuvor gestanden hatte.
»Meine Herren, darf ich Ihnen meinen engsten Kollegen vorstellen? Kriminalkommissar Gereon Rath.«
Rath nickte kurz. Wolter fuhr mit dem Vorstellen fort.
»Generalmajor Alfred Seegers …« Ein grauhaariger Mann mit schmalen Lippen und einem hageren Gesicht deutete eine Verbeugung
an. »… Oberleutnant Werner Fröhlich …« Ein blonder Mittvierziger grüßte mit seinem Cognacglas. »Und das hier ist Paul Geitner«,
stellte Wolter schließlich den Zivilisten vor. An Geitners Revers glänzte ein kleiner rot-weißer Metallknopf mit einem schwarzen
Hakenkreuz. »Alles Kameraden aus dem Krieg. Das schweißt zusammen. Wir sehen uns noch heute regelmäßig. Leider fehlt Helmut
Behnke, der war auch einer von uns.«
»Haben Sie gedient, Herr Kommissar?«, fragte Seegers. Wie zu Kaisers Zeiten. Ein Preuße alter Schule. Ein bisschen erinnerte
er Rath an seinen Vater.
»Ja. Aber nicht an der Front. Der Krieg war aus, bevor ich meinen Marschbefehl erhielt.«
»So viele kampfbereite junge Leute. Wir hätten den Krieg gewinnen können! Wenn diese Novemberverbrecher uns nicht verraten
hätten!«
Rath kannte diese Sprüche. Die gehörten in nationalen Kreisen zum guten Ton. Er seinerseits war eigentlich froh, nicht zu
Kanonenfutter verarbeitet worden zu sein. Aber das musste er hier nicht so laut sagen.
»Na, mit Deutschland wird’s schon wieder aufwärtsgehen«, meinte Wolter. »Ah! Danke, Emmi.«
Emmi Wolter war mit einem Cognacglas erschienen, das sie Rath reichte. Gelegenheit zum Themenwechsel. Rath hatte wenig Lust,
über den verlorenen Krieg zu reden.
»Auf den Gastgeber«, sagte er und hob das Glas.
»Auf den besten Scharfschützen, den die deutsche Armee je hatte«, ergänzte der hagere Generalmajor. Offensichtlich meinte
er Bruno. Die Männer prosteten sich zu.
Seegers nahm ihn beiseite. »Sagen Sie, Sie waren mit Bruno im Einsatz gegen die Kommunisten?«
Rath nickte.
»Da wollen die Sozis einmal durchgreifen, und dann geht es so daneben.« Seegers schüttelte den Kopf. »Bruno hat mir alles
erzählt. Diese dilettantische Waffensuche.« Der Offizier klopfte ihm auf die Schulter. »Nichts für ungut, junger Freund, das
geht nicht gegen Sie. Befehl ist Befehl. Ihre Chefetage hat versagt. So etwas muss man ganz anders aufziehen, aber dazu sind
die Sozen ja nicht in der Lage.«
»Immerhin haben sie jetzt den Rotfrontkämpferbund verboten.«
»Ja, toller Witz, nicht wahr! Die Roten lachen sich doch ins Fäustchen! Die Sozen sind nicht imstande, auch nur ein einziges
Waffenlager auszuheben, aber mit einem Verbot glauben sie, der Sache Herr zu werden. Lachhaft! Die Rotfront hatte vor dem
Verbot schon illegale Waffenlager, warum sollte sie jetzt vor illegalen
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